Samstag, 26. Januar 2013

Allerhöchste Zeit, das Gesicht zu verlieren

Nur noch wenige Tage, dann liegt in tausenden westfälischen Briefkästen und Kiosken ein journalistischer Zombie. Die Westfälische Rundschau, die keine Westfälische Rundschau mehr ist. In keiner Zeile. Allerhöchste Zeit also für die Geschäftsführung der WAZ-Mediengruppe, ihre von Rendite-Wünschen getriebenen Pläne zu ändern.

Ich weiß, solche Manager werden ihr Gesicht nicht verlieren wollen. Lästermäuler behaupten ja, die WAZ-Gruppenchefs hätten in früheren Jahren mehr Miese gemacht als eine WR je könnte, ich sage nur Balkan - aber lassen wir das.

In diesen Kreisen jedenfalls nimmt man nie etwas zurück, geschweige denn: Vernunft an. Nienhaus, der den Schickler-Kahlschlag (300 von 900) samt zugehöriger "Überraschung" der Belegschaft noch Bodo Hombach überlassen "durfte". Braun ("Das hätte man auch anders machen können"), der in Sonntags- und Betriebsversammlungsreden Hoffnung nährte, weil er das Lokale wieder stärken wollte. Ziegler, der die Rendite-Forderungen der Eigentümer und Banken erfüllen muss.

Karikatur: Karlheinz Stannies
Diesmal sind es wieder 300 Menschen, die Jobs und Aufträge verlieren; 120 fest, der Rest frei. Und was bleibt, ist "eine Art Zeitung", wie es in einer Soli-Adresse auf Medienmoral heißt, ohne eigene Redakteure, zusammengeschustert aus einem Mantelteil vom Essener Content-Desk der WAZ-Mediengruppe und diversen Lokalteilen, eingekauft wahlweise von der Westfalenpost (ab April) oder von den ehemals konkurrierenden Medienhäusern Lensing-Wolff, Rubens, Ippen.

Wie soll das gehen?
Bernd Berke von revierpassagen.de zum Beispiel fragt sich nicht nur, wie wohl das Impressum der künftigen "Etikettenschwindel-WR" aussehen wird. Ihm ist auch unklar, wie die dem ganzen Ruhrgebiet verpflichtete WAZ künftig aus Dortmund berichten will: "Schickt sie gelegentlich eigene Leute aus Essen hin? Oder wird die Lokalredaktion der Ruhr Nachrichten künftig den WAZ-Videokonferenzen zugeschaltet und nimmt etwaige Themenwünsche entgegen?"

Gute Fragen. Hier ist noch eine: Wie soll das künftig eigentlich mit der Mischmasch-Mogel-WR beim übergreifenden Essener Internet-Auftritt DerWesten und seinem WR-Ableger laufen? Fällt da zum Beispiel Dortmund ganz aus oder werden auch im Internet die (sehr ansehnlichen und netzinnovativen) RN-Inhalte einfach übernommen?

Kriegen künftig die Kolleginnen und Kollegen von Ruhr Nachrichten, Hellweger Anzeiger & Co für die Zweitverwertung ihres Lokalteils in einer angeblich eigenständigen anderen Zeitung zusätzliches Geld? Wenigstens die Freien? Gerecht und korrekt wäre es ja.

Offene Fragen und konkrete Probleme gibt es viele. Bernd Berke fragt sich übrigens auch, ob und wann das Gerücht Wahrheit wird, dass die Ruhr Nachrichten (praktisch im Gegenzug zur Dortmund-Überlassung) ihre Lokalredaktion in Bochum schließen, nach einer gewissen Schamfrist natürlich: "Sollte es da etwa Gebietsabsprachen geben? Da wäre ja geradezu…"

Win-win-win-Absprachen muss es ja in jedem Fall gegeben haben, zwischen den beteiligten Verlagen.

Wie gesagt: Es wäre für die Essener Führungsriege des WAZ-Konzerns allerhöchste Zeit, das Gesicht zu verlieren - und gemeinsam mit der Belegschaft, dem Betriebsrat und von mir aus auch mit den Gewerkschaften nach besseren Lösungen zu suchen. Aber viel Hoffnung - vor allem für 300 Menschen und ihre Familien, für zigtausend Abonnenten und für die Medienvielfalt - kann man bei den Essenern wohl nicht haben.

Nachtrag: Inzwischen hat sich der clever Pottblogger Jens Matheuszik schlau gemacht, wie die Übernahme von RN-Artikeln ins System von Der Westen laufen soll. Hier. Spannend.