Mittwoch, 23. Dezember 2020

Auf der Suche: (Kaum) Bares für Wahres

Der virtuelle Kongress des Deutschen Journalismus-Retter Verbands (DJRV) flimmerte nun schon vier Tage über die Displays der Medienexperten. Aber noch immer wurden Journalisten geschlagen und bedroht, beschimpft, missachtet und ausgebeutet – trotz zahlloser Vorschläge war noch kein Patentrezept für den Journalismus gefunden. Geschweige denn eine Finanzierung.

Von „nicht gemein machen“ bis „authentisch gemein sein“, von „Grünschnäbel haben keine Ahnung“ bis „Ey, alter Sack, mach endlich Platz“: Beim Buzzwort-Bingo waren alle Phrasen schon mindestens dreimal gefallen. Kein Wunder, dass ab und zu leises Schnarchen aus den Lautsprechern klang.

Besonders frustrierend: Nicht einmal die Tagesordnung („Erst das Untergangsszenario, dann das Überleben einzelner in der Nische?“) war bisher beschlossen worden. Ständig meldete der Dienstleister: „Geduld. Wir zählen noch.“ Viele vertrieben sich die Zeit auf anderen Kanälen.

Zapp. Die Spitzen von Horst Lichters Schnurrbart zitterten: „Albert, das ist wirklich was Rares.“ Auch der Experte schaute begeistert in das Schatzkästchen. „Siehst Du dieses Schimmern, Horst? Das ist guter, alter, echter, seriöser Journalismus.“ Der Anbieter strahlte. Er hoffte für seine Leute auf viel Bares für Wahres.

Aber bei den Händlern stockte das Bieten. „Wir wissen nicht so recht, ob wir so etwas überhaupt noch verkaufen können“, erklärte der Junge. Das Netz sei doch voll davon. Zumindest von Ähnlichem. Okay, vielleicht auch nur ein Abklatsch, voller Hintergedanken und Fehler, aber die Leute lieben es. „Was ist denn die Schmerzgrenze?“ Der geschockte Anbieter schraubte die Hoffnungen schon herunter, als er sagte: „Wir hatten an 4 Prozent mehr gedacht, mindestens 200 Euro pro Monat.“ Die Händler schoben die Schatzkiste entschlossen von sich. Waldi hatte Mitleid: „Ich sage mal: 80 Euro. Aber mehr ist der Prügel nicht wert.“

Zapp. Der Kongress fragte sich gerade, ob die vielen Millionen von Staat und Google wohl zur Rettung reichen werden. „Das sahnen wieder nur die Großen ab“, meinte einer. Eine Sammlung für die Kleinen hatte wirklich nicht viel erbracht. Im Beutel lagen gerade mal drei Knöpfe.

Zapp. „Wer ist der Pfau?“ fragte Moderator Opdenhövel immer wieder. Bei „The Masked Writer“ mussten Verkleidete an Zitaten erkannt werden. Der Pfau fächerte sein schillerndes Rad auf, kreischte: „100 Prozent Journalismus. Keine Märchen.“ Zu einfach.

Zapp. Huch, der Kongress-Stream war leer. Über ein Laufband flimmerte: „Wegen Meinungsvielfalt vertagt.“


Dienstag, 1. Dezember 2020

Der schmale Grat

Wenn die Sucher zum Aussucher werden...
Karikatur: Karlheinz Stannies
Spätestens seit „Der Pate“ weiß das jeder: Es gibt Angebote, die kann man einfach nicht ablehnen. Zum Beispiel, als Springers Friede ihrem Mathias zusäuselte: Werde mein Nachfolger, Du kriegst auch 'ne Millarde. Wir wären gern dabei gewesen. Hätte Döpfner das reizende (und wohl ziemlich steuerfreie) Geschenk seiner Chefin ausschlagen sollen? Hätte er nicht vorschlagen müssen: Schenke die Aktien lieber Deiner noch nicht gefeuerten Belegschaft, die dem Haus die Treue hält.

Klar, keiner von uns hätte nein gesagt. Schließlich ging es um viel Geld, viermal mehr als der Staat in die digitale Zukunft der ganzen Zeitungsbranche investieren will. Barbara machte uns nachdenklich: „Man könnte damit zigtausend verarmte Freie Journalisten vor dem Verlust ihrer Existenz bewahren, dazu jede Menge Jobs dauerhaft retten – und hätte immer noch mehr Knete übrig, als man zum Leben braucht.“ Reine Theorie. Schließlich kannte niemand von uns eine flotte Witwe, schon gar keine spendable. Hat jemand mal die Nummer von Liz Mohn? Mehr fiel uns nicht ein. Erbärmlich.

„Ja, Nachfolger-Suche kann teuer werden“, brummelte Gaby. „Meint ihr, auch Kurt Bauer hat sich einen Nachfolger gekauft?“ Wir lachten lange über diese rotzfreche Frage. Nein, seine Mehrheit am Medienhaus Bauer – immerhin sechs Generationen im Familienbesitz – hatte Lensing-Wolff bestimmt nicht für lau bekommen. „Der zu erwartende Abbau der Meinungsvielfalt wird hoffentlich teuer“, giftete Patricia.

Der Stammtisch balancierte heute wirklich souverän Humor und Bosheit. Ein schmaler Grat. „So schmal wie zwischen Genie und Wahnsinn“, sagte Harald, „oder zwischen kritischen Journalisten und einfach nur affigen Kotzbrocken. Ich kenne da zwei oder drei.“ Wir grinsten. „Oder zwischen Clickbaits und Journalismus“, brachte Klaus ins Spiel. „So manche Klickschinderei schädigt nämlich das Ansehen der Presse“. Stimmt, hat der Presserat auch gesagt. „Hat Funkes Der Westen schon darüber berichtet?“, stichelte Martina.

Mittlerweile hatte die Technik vieles im Griff: Die Aktionen unserer „Kunden“ wurden gezählt, gemessen, bewertet, in Echtzeit. Je mehr Klicks desto mehr Werbung und Erfolg. Algorithmen entscheiden über Inhalte, Roboter schreiben längst Texte. Was würde erst Künstliche Intelligenz bringen? Wir sahen zu, wie Karla dem runden Ding auf dem Tisch hinter ihr zurief: „Hey, Siri, gibt es eigentlich auch Künstliche Dummheit?“ Die Maschine dachte drei, vier Sekunden nach. Und schnurrte dann freundlich: „Ich bin sicher, dafür braucht ihr unsere Hilfe nicht.“



Freitag, 14. August 2020

Zweiundzwanzig mit sieben Nullen




Karikatur: Karlheinz Stannies


Der Beschluss kam echt überraschend, angeblich sogar für die Zeitungsverlage selbst. „Auch Politiker des Haushaltsausschusses konnten sich hinterher kaum noch erinnern, wie er zustande kam“, schmunzelte Oliver in unsere virtuelle Stammtisch-Runde. Wir grinsten. Irgendwer würde bestimmt bald eine neue Studie zur überraschenden Wirkung von Druckverlegern (also Politik, nicht Print) machen. Bianca spekulierte: „Vielleicht ist der an konkrete Zukunftsprojekte geknüpfte Geldsegen sogar eine Rache der dauerbedrängten Politiker?“

Jedenfalls: Statt 40 Millionen Euro für Zeitungsboten pumpen die Politiker nun 220 Millionen Staatsknete in die Verlage. Für Investitionen in die digitale Veränderung. „Wow“, witzelte Gabi, „das ist eine 22 mit sieben Nullen. Da muss eine arme Freie wie ich lange für Texten“. Fotograf Peter zückte seinen Rechner: „Honorar für 15 Millionen Fotos. Da kriege ich bestimmt Knipsfinger-Kater.“ Galgenhumor können wir. „Und die Westfalen-Blatt-Gruppe könnte glatt im Tarif bleiben“, warf einer ein. „Quatsch, die nehmen alles mit. Koste es was oder auch wen es wolle. Außerdem sind Aschendorff und Co ja vorbelastete Triebtäter in Sachen Tarifflucht.“ Die armen Kostenstellen, ähm, Kolleginnen und Kollegen dort.

Apropos Tarife. „Habt ihr eigentlich mitbekommen, dass wir eine Tarifrunde hatten?“ fragte Detlev. Kopfschütteln auf allen Bildchen im Display. Plötzlich war er irgendwie da, dieser Corona-Notfalltarif, gültig bis zum Jahresende. „Gute Sache“, meinte Karin, „vor allem die zusätzliche Honorarzahlung an die Freien. „Obwohl“, kam die Arbeitskampf-Romantikerin bei ihr durch, „so ein Streik im Home-Office wäre bestimmt eine nette Erfahrung gewesen.“ Trillern vor dem Frühstück, Plakate malen mit den Kids, Familien-Sprechchöre vom Balkon.

„Wichtig ist auch die Arbeitsplatzsicherung im Krisen-Tarif“, sagte Fritz. Ja, stimmt. „Aber wir bezahlen die zum Teil selbst: Kündigungsschutz gibt’s ja nur da, wo die Arbeitgeber unser Weihnachtsgeld kürzen dürfen.“ Immer nur sparen, streichen. Ob die 220 Millionen Euro für uns etwas ändern? Wir zweifelten. „Zumal in den Verlagen jetzt blanke Panik herrscht“, berichtete Mina. „Keiner hat genug Ideen, wofür man die aufgedrängte Staatsknete abrufen könnte. Einfach in die Rendite packen geht wohl nicht.“ Wir stöhnten voller Mitleid auf. Nelli legte nach: „Ich hörte, dass die Verleger ihre Krisen-Webkonferenz immer noch nicht machen konnten – jeder hat sein eigenes System und besteht drauf.“ Diesmal brüllten wir vor Lachen: Das ganze Digitalzukunftsdrama der Medienhäuser in einem Satz.


Donnerstag, 6. August 2020

... und wir erscheinen doch

Karikatur: Karlheinz Stannies

Das Wispern im Mediendschungel war unüberhörbar. „Alle sind in Homeoffice, und wir erscheinen doch“, raschelte es hier. „Es ist Kurzarbeit, und wir erscheinen doch“, flüsterte es dort. Lokalredaktionen werden dichtgemacht, und wir erscheinen doch. „Zumindest irgendwie“, zerknötterte Rita das aufmunternde Narrativ. Wir streichen Formate, lassen viele Freie hungern – und senden doch. „Zumindest irgendwas“, brummelte nun auch Werner.

Ja, Corona krempelt alles um. „Sogar das oft geschmähte Heimbüro bestand seine Belastungsprobe“, urteilte Werner. „Plötzlich schwappte der Job ins Wohnzimmer“, sagte Heide. „Wie so ein Tsunami. Mitten zwischen Haushalt und Familienleben.“ Manchmal schön, oft anstrengend. „Und bei mir“, reckte Holger seinen Bauch ins Bild, „war Zuhause-Arbeiten eher ein Zunahmi“. Wir grinsten, waren uns aber einig: Die Erfahrung mit dem flexiblen Arbeiten, auch von unterwegs, wird den Job verändern. 

Das Narrativ meldete sich nochmal. „Wir haben ein Anzeigenblatt verkauft“, schnatterte es aus dem Ippen-Wipfel. Und? Das sinnstiftende Mantra kam ins Stottern. „Und... der neue Verlag hat es sofort eingestellt und die Leute entlassen.“ Geschickt, die Drecksarbeit dem Käufer zu überlassen. So geht Siegen! Und wenn der Käufer dann im Gegenzug selber Anzeigenblätter abgibt, die man dicht macht, ist die Revier-Aufteilung zwischen Sieger- und Sauerland perfekt. Sprich: Siegener Zeitung und Westfälischem Anzeiger. Tja, im Verleger-Dschungel gelten wohl andere Gesetze. Man muss nicht auf alles Rücksicht nehmen, was da an Festen und Freien so kreucht und fleucht.

„Kostenstellen, Bauernopfer – so kann man doch nicht mit uns umgehen“, grätschte Christian energisch in den Video-Stammtisch. „Wir sind doch wieder wer! Das Vertrauen in die Medien steigt, dank uns, Klickzahlen und Digital-Abos gehen durch die Decke, dank uns. Und wir sind jetzt systemrelevant.“ Wir winkten ab. „Ja“, meinte die zweifelnde Ruth, „relevant genug für Kita-Plätze. Macht Euch nichts vor: Damit sollte sichergestellt werden, dass unsere Arbeitgeber nicht zu viele Engpässe kriegen. Verleger und Senderchefs sind für Politiker nämlich relevant, nicht wir.“

Der Zweifel war gesät, aber wir hielten uns immer noch für wichtig. „Was wir den Verlegern wert sind, werden wir bei den anstehenden Tarifrunden erleben“, orakelte Andrea. Manni guckte ernst in seine Webcam: „Ich weiß, was sie uns anbieten werden. Sie werden uns auffordern, dankbar zu sein, dass sie uns nur das Urlaubsgeld und die Jahresleistung wegstreichen. Aber dafür würden alle Chefs und Manager auch samstags um 18 Uhr auf ihren Gartenterrassen für die Journalisten klatschten.“ Uns schossen Tränen in die Augen. Damit kriegen sie uns.


Samstag, 16. Mai 2020

BVB gegen Schalke: Derby sehen - und Schluss...?

Okay, ich gebe zu: Ich werde mir dieses Geisterspiel gleich ansehen. Ist immerhin das Ruhr-Derby. Dortmund gegen Schalke. Außerdem zahle ich monatlich gewaltige Summen an Sky. Dafür sollen sie ruhig was übertragem. Aber danach darf, vielleicht sogar zwangsweise nach einigen Ansteckungsfällen in den Teams, die Saison ruhig beendet werden. Spätestens nach dem BVB-Spiel gegen die Bayern... Ohne Stadionstimmung macht's sowieso deutlich weniger Spaß, oder? Auch Heiko Sakurai, der tolle Karikaturist (den es vor Jahren von Recklinghausen nach Köln zog), zweifelt wohl ein wenig an der Systemrelevanz des Showgeschäfts Kickerei. Proudly presented: 

Karikatur: Heiko Sakurai

Samstag, 18. April 2020

Der Klickschinder-Hannes

Corona-Redaktion, offene Fragen...
Karikatur: Karlheinz Stannies
Wir hockten alle zu Hause vor unseren Computern. Video-Stammtisch im Zeitalter von Corona, seit Wochen schon. Anfangs gab's Technik- und Disziplinprobleme: Ey, wir sehen nur Deinen Bauch! Wen haben wir gerade verloren? Kannste mal die Hitparade im Hintergrund abschalten? Du könntest Deine Bude auch mal wieder aufräumen. Solche Sachen. „Habt ihr auch alle schön die Anti-Viren-Programme hochgefahren?“ flachwitzelte Klaus immer noch jedes Mal am Anfang.

Karla hielt eine Rolle Klopapier in die Kamera: „Hat mein Mann im März gehamstert. Unser Vorrat reicht bis mindestens 2026.“ Meike kicherte: „Notfalls gibt’s ja noch Zeitungen.“ Stimmt. Die australische Lokalzeitung NT News erschien kürzlich mit acht leeren Seiten, zum Zerschnibbeln, als Wisch-Ersatz. Einlagig.

Ohne Zweifel ein Service, den Online nicht bieten kann. „Dafür haben wir viele andere Vorteile“, warf Hannes ein. Uns war aufgefallen, dass er immer wieder gehetzt auf sein Handy eintippte. Das machte uns neugierig. „Wir haben da eine Software“, erklärte der Onliner, „die uns zeigt, wie oft unsere Texte aktuell angeklickt werden.“ Und ihm würden gerade noch sechs Klicks fehlen. Für den Tagessieg im internen Wettstreit der Redaktion. Preis: eine Überstunde wird anerkannt.

„Könnt ihr nicht mal eben auf meinen Text surfen und ein paar Mal klicken“, ließ Hannes die Katze aus dem Sack. „Aus Solidarität.“ Wir dachten an die vielen Streiks und Aktionen, bei denen er stets fehlte. Überhaupt gefiel uns diese ganze Klickschinderei im Online-Journalismus nicht. Hund verschwindet spurlos – unfassbar, wo er sechs Jahre später wieder auftaucht. Schock-Prognose: Bald 10 Millionen Infizierte, wenn...

„Besonders eklig wird es“, verzog Katrin ihr Gesicht, „wenn nach Tragödien Reißer-Überschriften nach Lesern lechzen“. Solche wie „Es machte plopp, plopp, plopp – immer wenn das Auto...“ Menschenverachtend. Wir fragten uns, ob die Produzenten überhaupt noch Journalisten sind. „Jedenfalls sind die nicht wichtig für die Gesellschaft“, stellte Ulf klar. Ordentliche Journalisten dagegen schon: „Wir sind ja jetzt als systemrelevant anerkannt. Zumindest als kritische Infrastruktur.“ Wir schmunzelten: „Da muss erst ein Virus die Welt bedrohen, bis das der Politik auffällt.“

***

P.S.: Natürlich haben wir dann noch für Hannes geklickt. Solidarität und so. Und gehofft, dass die Politiker unsere am Virus verarmenden Freien nicht im Stich lassen. Relevanz und so.

Mittwoch, 19. Februar 2020

Und die Chöre singen für Dich

Liebe Leserinnen und Leser! Ich möchte mich hier schon vorsorglich, also ohne Wenn und Aber, bei Ihnen...

Karikatur: Karlheinz Stannies
„Ja, ja“, würgte Paul die voreilige Entschuldigung ab. Nur um mit Nachdruck festzustellen: „Gut oder schlecht, Satire darf alles. Auch respektlos sein. Gegen alles!“ Außer gegen Tiernahrung, alberte Martina. Und was ist mit Omas? Der Umgang des WDR mit dem Umweltsau-Satire beschäftigte den Stammtisch. Die Sofort-Entschuldigung, sogar in Sondersendungen, das schnelle Löschen des Videos – viele WDR-Leute fühlten sich vom Intendanten schmählich im Stich gelassen. Zumal der Kotau weder Shitstorms noch Demos, beides von rechts angezettelt, verhinderte.

„Dabei wurden gar nicht alle Omas angegriffen“, maulte Claudia pingelig, „höchstens die mit den aufgezählten Umwelt-Sünden.“ Differenzierung ist heute leider nicht mehr üblich. Schon gar nicht bei den Rechten oder in den unsozialen Netzwerken. Wie auf Stichwort stand der Chor der Diversen um den Stammtisch herum:

Unsere Oma sagt, die Braunen sind in Ordnung. (In Ordnung, gute Leute.)

Wir zuckten zusammen. Hielten die Luft an. Die Braunen sind prima?

Und die mit gelber oder roter Haut sind's auch.

Puh. Und da war sie wieder, die patente Oma. In unseren erleichterten Beifall mischte sich Getrappel. Der Chor der Vogelfreien stellte sich auf:

Unser Auftraggeber glaubt, wir sind nicht wichtig. (So wichtig, so nützlich.)
Unser Auftraggeber hält uns für Idioten. (Für Sklaven, austauschbar).
Und er zieht beim Honorar uns über'n Tisch.
Unser Auftraggeber ist 'ne echte Dumping-Sau.

Tolles Satire-Lied. Und leider so wahr. Ob bei Geld oder Rückhalt – die Freien haben es überhaupt nicht leicht. Nicht mal die öffentlich-rechtlichen. Wenn sich schon Leute wie Richard Gutjahr über mangelnde Unterstützung beklagten. Ein Hammer, dass sein Intendant ihm damals riet: Geh' doch zum DJV, wenn Du Hilfe brauchst. Hinter uns ein Räuspern. Der Herner Volokurs-Chor hatte seinen Auftritt:

Der Kollege kennt im Newsroom stets nur Eile. (Will vorn sein, Reichweite.)
Durch Recherche ging manch schöne Zeile baden. (Luft raus, Klicks weg.)
Schon Gerüchte sind für ihn der heiße Scheiß.
Der Kollege ist 'ne echte Fake-news-Sau.

Der Abend konnte noch lang werden. Angesagt hatten sich noch die Anklage-Chöre der ausgebooteten Oldies, der vernachlässigten Fotografen, der belogenen Betriebsräte, der...

Jetzt aber. Liebe Leserinnen und Leser! Falls Sie von der vorschnellen Truppe sind und sich vorhin durch das Liedchen bloßgestellt fühlen, möchte ich mich hiermit schnellstens bei ihnen entschuldigen, ohne Wenn und Aber. Das wird man doch noch...


Samstag, 4. Januar 2020

In diesen Zeiten Journalist werden? Tja, mh, äh...

Bernd Berke
Der Dortmunder Journalist Bernd Berke gehört zu den wenigen Menschen, die mich Banausen hin und wieder zur Kultur locken. Genauer: zu seinem Blog Revierpassagen. Das ist voll davon. Bernd und eine Menge Kolleginnen und Kollegen berichten dort seit 2011 über Kulturelles im Ruhrgebiet. Da geht es beileibe nicht nur um Oper, Theater, Bücher. Der Wahnsinn ist das Archiv, in dem sich sogar Feuilleton-Beiträge der Westfälischen Rundschau (als sie noch kein Zombie war) und des Kulturblogs Westropolis (als es das noch gab) finden lassen; derzeit zurück bis 1993. Bernd, der mit der Westfälischen Rundschau seine langjährige publizistische Heimat verlor, hat sich jetzt Gedanken zum Journalisten-Beruf gemacht. Sollte man? War es früher besser? Seine "gesammelten Bemerkungen" darf ich hier übernehmen. Proudly presented:

Von BERND BERKE


Ob man/frau heute noch einmal den journalistischen Beruf ergreifen oder sich gar von ihm ergreifen lassen sollte? Mh, ich weiß nicht so recht.

Dies soll gewiss keine Berufsberatung werden. Doch auch kein unumwundenes Abraten. Nur ein paar gesammelte Bemerkungen. Wer in sich eine entsprechende Begabung fühlt, mag es sicherlich weiterhin versuchen. Aber leicht wird es nicht. Doch wird es beispielsweise leichter sein, Lehrer zu werden und über Jahrzehnte zu bleiben? Wohl kaum.

Einst Insignien in Print-Redaktionen, heute
längst museal: Typometer und graphische
Rechenscheibe (Foto: Bernd Berke
Zu den Zeiten, als „meine Generation“ (yeah, yeah!) im journalistischen Job anfing, war noch manches anders, die spürbaren Veränderungen kamen erst nach einigen Jahren – zuerst schleichend, dann rasend. „Damals“ sah man in der Straßenbahn und an vielen anderen Orten noch lauter Menschen mit Zeitungen (oder mit Büchern). Und heute? Nun, ihr wisst schon, was ich meine. Manchmal ist es bestürzend.

Aktualität war seit jeher mediales Gebot, auch Zeitdruck ist im Print-Gewerbe und bei anderen journalistischen Hervorbringungen natürlich keineswegs neu. Im Gegenteil. Ehedem wurden Zeitungen laufend aktualisiert, bis in die Nachtstunden hinein. Zehn Jahrzehnte vor unserer Zeit, in den legendären 1920er Jahren, gab es noch Rezensionen, die gleich nach Schluss der Aufführungen gedruckt wurden. Aber hallo!

Doch heute werden Nachrichten und Kommentare nicht nur schnell, sondern oft genug vorschnell verfertigt, noch während und indem die Geschehnisse sich bewegen. Unsere täglichen Eilmeldungen gib uns heute. Halbgare Stoffe werden schon hastig um und um gewendet, ehe die Wahrheit (ach ja!) ihren ersten zarten Anschein zu zeigen vermag. Inzwischen sind Berichte unter der demonstrativ wägenden Standard-Zeile „Was wir wissen – und was nicht“ ja schon ein eigenes, immerhin halbwegs seriöses Genre.

Auch war längst nicht dieser furchtbar freigelassene, entfesselte Hass unterwegs wie heute.