Donnerstag, 31. Dezember 2015

Kannze Dir schenken

Karikatur: Karlheinz Stannies

Beim Terror in Paris hatten wir wieder diese unsägliche Gerüchte-Stampede im Medienland beobachtet: „Einige setzten noch ihre forschen Eilmeldungen ab, als andere diese schon längst wieder dementierten,“ stöhnte Michael quer über den Stammtisch. „Hauptsache, irgendwas raushauen. Vor allem im Netz. Die Leute wollen das. Angeblich.“

Natürlich gibt es diese Echtzeit-Ansprüche, im Netz der Millionen Bürgerjournalisten und Meinungsmacher. Aber immerhin gab es auch auffallend viel Lob für diejenigen, die erst dann was brachten, wenn es halbwegs abgeklärt war. „Das lässt hoffen“, sagte Jens. „Journalismus mit Ruhe, Besonnenheit und Qualität – das ist doch der Markenkern, den es in die Zukunft zu retten gilt."

Trotzdem: die Erwartungen an Journalisten haben sich total geändert, stellte Stefan fest: „Täglich werden neue technische Möglichkeiten bejubelt. In ihrer digitalen Euphorie haben die Freunde des nächsten Heißen Scheißes ja keinen Superlativ ausgelassen.“ Stimmt, nickte Tanja, „manche steigern sich jetzt schon in den Ejakulativ.“

Wir lachten noch, als sich Birgit meldete: „Ich habe zu Weihnachten auch dieses Jahr wieder das uralte Standardwerk verschenkt: Print stirbt“. Natürlich in gedruckter Form. Sie war schon immer eine kleine Anarchistin.

Man muss digital mitmischen, sagte Rolf. „Ich habe mir zu Weihnachten alle möglichen Apps, Programme und Hilfsmittel besorgt, die man als Journalist angeblich so braucht – zum Überleben. Und gleich ausprobiert .“ Puh, wir atmeten durch: „Und was sagte die Familie dazu?“ Naja, gab Rolf zu, für die blieb wenig Zeit zum Fest: „Aber Opa war begeistert: Ich habe das Gänseessen zu Opa ins Altenheim übertragen, live per Periscope.“

Karsten, der merkwürdig ruhig geblieben war, räusperte sich: „Unsere Chefs schenken uns zu Neujahr einen Newsdesk – und dadurch viel mehr Zeit für Recherche und Qualität.“ Wir erkannten sofort Manager-Sprech und schauten ihn voller Mitleid an: „Kostet wie viele Arbeitsplätze?“ Ungefähr die Hälfte, flüsterte er. Es gibt Geschenke, die kann man sich schenken.

Mittwoch, 30. Dezember 2015

Womöglich unmöglich - irren ist journalistisch

Journalisten, vor allem auch Lokaljournalisten, haben einen schweren Stand, werden mehr denn je angefeindet. Hardy Prothmann vom RheinNeckarBlog, der sich gern als "Zukunft des Lokaljournalismus" feiern ließ und über die angeblich mangelnde Qualität der ("Bratwurst"-) Berichterstattung anderer Medien aufregt, kann ein Lied davon singen. Vor ein paar Wochen fand er an der Windschutzscheibe seines Wagens einen Zettel.


...sie sterben womöglich


Das stand - mit Hinweis auf sein Journalisten-Dasein - darauf, berichtete Hardy Prothmann brühwarm in seinem Blog. Lesen Sie hier alles über die "Todesbotschaft" und den "Terror" der "Dumpfbacke" bzw. des "durchgeknallten Volldepp, vermutlich eine arme Wurst". Und warum sowas natürlich den Journalismus bedroht. Darüber habe er auch seine Mitarbeiter informiert, wegen der Verantwortung, die so ein bedrohter Chef hat. Er tat mir Leid, der vielfach angegriffene Kollege Prothmann, der - bei aller ihm immer wieder sicher nicht zu Unrecht vorgeworfenen Arroganz - stets versucht, sauber zu recherchieren und transparent zu informieren. Also erfüllt es mich jetzt nicht mit allzu viel Schadenfreude, was einen Monat später geschah. Die Polizei bat ihn nämlich zu sich und zeigte ihm die Todesdrohung auf dem Zettel, den er mit der Anzeige abgegeben hatte, in Vergrößerung. Und siehe da, da stand in Wirklich- und Deutlichkeit:


...auch wenn Sie Journalist sind, sie stehen unmöglich


Der Angriff auf die Pressefreiheit und den unabhängigen Journalisten entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als (anscheinend  etwas krakeliger) Hinweis auf falsches Parken. Was lernt man daraus? Höchstens: Zweimal lesen, bevor man sich aufregt und wortgewaltig schreibt. Hardy Prothmann, der öfter auch mal Kolleginnen und Kollegen gleich als "Schande für den Journalismus" abkanzelt (aktuell eine taz-Kollegin, siehe hier), hat die mögliche Peinlichkeit allerdings nicht verschwiegen, sondern transparent berichtet: Hut ab! Überzeugen Sie es hier davon.