Freitag, 14. August 2020

Zweiundzwanzig mit sieben Nullen




Karikatur: Karlheinz Stannies


Der Beschluss kam echt überraschend, angeblich sogar für die Zeitungsverlage selbst. „Auch Politiker des Haushaltsausschusses konnten sich hinterher kaum noch erinnern, wie er zustande kam“, schmunzelte Oliver in unsere virtuelle Stammtisch-Runde. Wir grinsten. Irgendwer würde bestimmt bald eine neue Studie zur überraschenden Wirkung von Druckverlegern (also Politik, nicht Print) machen. Bianca spekulierte: „Vielleicht ist der an konkrete Zukunftsprojekte geknüpfte Geldsegen sogar eine Rache der dauerbedrängten Politiker?“

Jedenfalls: Statt 40 Millionen Euro für Zeitungsboten pumpen die Politiker nun 220 Millionen Staatsknete in die Verlage. Für Investitionen in die digitale Veränderung. „Wow“, witzelte Gabi, „das ist eine 22 mit sieben Nullen. Da muss eine arme Freie wie ich lange für Texten“. Fotograf Peter zückte seinen Rechner: „Honorar für 15 Millionen Fotos. Da kriege ich bestimmt Knipsfinger-Kater.“ Galgenhumor können wir. „Und die Westfalen-Blatt-Gruppe könnte glatt im Tarif bleiben“, warf einer ein. „Quatsch, die nehmen alles mit. Koste es was oder auch wen es wolle. Außerdem sind Aschendorff und Co ja vorbelastete Triebtäter in Sachen Tarifflucht.“ Die armen Kostenstellen, ähm, Kolleginnen und Kollegen dort.

Apropos Tarife. „Habt ihr eigentlich mitbekommen, dass wir eine Tarifrunde hatten?“ fragte Detlev. Kopfschütteln auf allen Bildchen im Display. Plötzlich war er irgendwie da, dieser Corona-Notfalltarif, gültig bis zum Jahresende. „Gute Sache“, meinte Karin, „vor allem die zusätzliche Honorarzahlung an die Freien. „Obwohl“, kam die Arbeitskampf-Romantikerin bei ihr durch, „so ein Streik im Home-Office wäre bestimmt eine nette Erfahrung gewesen.“ Trillern vor dem Frühstück, Plakate malen mit den Kids, Familien-Sprechchöre vom Balkon.

„Wichtig ist auch die Arbeitsplatzsicherung im Krisen-Tarif“, sagte Fritz. Ja, stimmt. „Aber wir bezahlen die zum Teil selbst: Kündigungsschutz gibt’s ja nur da, wo die Arbeitgeber unser Weihnachtsgeld kürzen dürfen.“ Immer nur sparen, streichen. Ob die 220 Millionen Euro für uns etwas ändern? Wir zweifelten. „Zumal in den Verlagen jetzt blanke Panik herrscht“, berichtete Mina. „Keiner hat genug Ideen, wofür man die aufgedrängte Staatsknete abrufen könnte. Einfach in die Rendite packen geht wohl nicht.“ Wir stöhnten voller Mitleid auf. Nelli legte nach: „Ich hörte, dass die Verleger ihre Krisen-Webkonferenz immer noch nicht machen konnten – jeder hat sein eigenes System und besteht drauf.“ Diesmal brüllten wir vor Lachen: Das ganze Digitalzukunftsdrama der Medienhäuser in einem Satz.


Donnerstag, 6. August 2020

... und wir erscheinen doch

Karikatur: Karlheinz Stannies

Das Wispern im Mediendschungel war unüberhörbar. „Alle sind in Homeoffice, und wir erscheinen doch“, raschelte es hier. „Es ist Kurzarbeit, und wir erscheinen doch“, flüsterte es dort. Lokalredaktionen werden dichtgemacht, und wir erscheinen doch. „Zumindest irgendwie“, zerknötterte Rita das aufmunternde Narrativ. Wir streichen Formate, lassen viele Freie hungern – und senden doch. „Zumindest irgendwas“, brummelte nun auch Werner.

Ja, Corona krempelt alles um. „Sogar das oft geschmähte Heimbüro bestand seine Belastungsprobe“, urteilte Werner. „Plötzlich schwappte der Job ins Wohnzimmer“, sagte Heide. „Wie so ein Tsunami. Mitten zwischen Haushalt und Familienleben.“ Manchmal schön, oft anstrengend. „Und bei mir“, reckte Holger seinen Bauch ins Bild, „war Zuhause-Arbeiten eher ein Zunahmi“. Wir grinsten, waren uns aber einig: Die Erfahrung mit dem flexiblen Arbeiten, auch von unterwegs, wird den Job verändern. 

Das Narrativ meldete sich nochmal. „Wir haben ein Anzeigenblatt verkauft“, schnatterte es aus dem Ippen-Wipfel. Und? Das sinnstiftende Mantra kam ins Stottern. „Und... der neue Verlag hat es sofort eingestellt und die Leute entlassen.“ Geschickt, die Drecksarbeit dem Käufer zu überlassen. So geht Siegen! Und wenn der Käufer dann im Gegenzug selber Anzeigenblätter abgibt, die man dicht macht, ist die Revier-Aufteilung zwischen Sieger- und Sauerland perfekt. Sprich: Siegener Zeitung und Westfälischem Anzeiger. Tja, im Verleger-Dschungel gelten wohl andere Gesetze. Man muss nicht auf alles Rücksicht nehmen, was da an Festen und Freien so kreucht und fleucht.

„Kostenstellen, Bauernopfer – so kann man doch nicht mit uns umgehen“, grätschte Christian energisch in den Video-Stammtisch. „Wir sind doch wieder wer! Das Vertrauen in die Medien steigt, dank uns, Klickzahlen und Digital-Abos gehen durch die Decke, dank uns. Und wir sind jetzt systemrelevant.“ Wir winkten ab. „Ja“, meinte die zweifelnde Ruth, „relevant genug für Kita-Plätze. Macht Euch nichts vor: Damit sollte sichergestellt werden, dass unsere Arbeitgeber nicht zu viele Engpässe kriegen. Verleger und Senderchefs sind für Politiker nämlich relevant, nicht wir.“

Der Zweifel war gesät, aber wir hielten uns immer noch für wichtig. „Was wir den Verlegern wert sind, werden wir bei den anstehenden Tarifrunden erleben“, orakelte Andrea. Manni guckte ernst in seine Webcam: „Ich weiß, was sie uns anbieten werden. Sie werden uns auffordern, dankbar zu sein, dass sie uns nur das Urlaubsgeld und die Jahresleistung wegstreichen. Aber dafür würden alle Chefs und Manager auch samstags um 18 Uhr auf ihren Gartenterrassen für die Journalisten klatschten.“ Uns schossen Tränen in die Augen. Damit kriegen sie uns.