Dienstag, 1. Dezember 2020

Der schmale Grat

Wenn die Sucher zum Aussucher werden...
Karikatur: Karlheinz Stannies
Spätestens seit „Der Pate“ weiß das jeder: Es gibt Angebote, die kann man einfach nicht ablehnen. Zum Beispiel, als Springers Friede ihrem Mathias zusäuselte: Werde mein Nachfolger, Du kriegst auch 'ne Millarde. Wir wären gern dabei gewesen. Hätte Döpfner das reizende (und wohl ziemlich steuerfreie) Geschenk seiner Chefin ausschlagen sollen? Hätte er nicht vorschlagen müssen: Schenke die Aktien lieber Deiner noch nicht gefeuerten Belegschaft, die dem Haus die Treue hält.

Klar, keiner von uns hätte nein gesagt. Schließlich ging es um viel Geld, viermal mehr als der Staat in die digitale Zukunft der ganzen Zeitungsbranche investieren will. Barbara machte uns nachdenklich: „Man könnte damit zigtausend verarmte Freie Journalisten vor dem Verlust ihrer Existenz bewahren, dazu jede Menge Jobs dauerhaft retten – und hätte immer noch mehr Knete übrig, als man zum Leben braucht.“ Reine Theorie. Schließlich kannte niemand von uns eine flotte Witwe, schon gar keine spendable. Hat jemand mal die Nummer von Liz Mohn? Mehr fiel uns nicht ein. Erbärmlich.

„Ja, Nachfolger-Suche kann teuer werden“, brummelte Gaby. „Meint ihr, auch Kurt Bauer hat sich einen Nachfolger gekauft?“ Wir lachten lange über diese rotzfreche Frage. Nein, seine Mehrheit am Medienhaus Bauer – immerhin sechs Generationen im Familienbesitz – hatte Lensing-Wolff bestimmt nicht für lau bekommen. „Der zu erwartende Abbau der Meinungsvielfalt wird hoffentlich teuer“, giftete Patricia.

Der Stammtisch balancierte heute wirklich souverän Humor und Bosheit. Ein schmaler Grat. „So schmal wie zwischen Genie und Wahnsinn“, sagte Harald, „oder zwischen kritischen Journalisten und einfach nur affigen Kotzbrocken. Ich kenne da zwei oder drei.“ Wir grinsten. „Oder zwischen Clickbaits und Journalismus“, brachte Klaus ins Spiel. „So manche Klickschinderei schädigt nämlich das Ansehen der Presse“. Stimmt, hat der Presserat auch gesagt. „Hat Funkes Der Westen schon darüber berichtet?“, stichelte Martina.

Mittlerweile hatte die Technik vieles im Griff: Die Aktionen unserer „Kunden“ wurden gezählt, gemessen, bewertet, in Echtzeit. Je mehr Klicks desto mehr Werbung und Erfolg. Algorithmen entscheiden über Inhalte, Roboter schreiben längst Texte. Was würde erst Künstliche Intelligenz bringen? Wir sahen zu, wie Karla dem runden Ding auf dem Tisch hinter ihr zurief: „Hey, Siri, gibt es eigentlich auch Künstliche Dummheit?“ Die Maschine dachte drei, vier Sekunden nach. Und schnurrte dann freundlich: „Ich bin sicher, dafür braucht ihr unsere Hilfe nicht.“