Donnerstag, 20. August 2015

Womöglich braucht man Journalismus schon gar nicht mehr...

Vera Bunse
Wenn's um das Netz und Netz-Politik, aber auch um Medien und Online-Journalismus oder auch Datenschutz und Bürgerrechte geht, dann kennt "man" sie ganz einfach: Vera Bunse. Über 30 Jahre im Netz und selten ruhig - da bleibt das nicht aus. Einige Jahre bei Carta taten ein Übriges. Kurz: Wenn Vera was denkt, dann liest man das. In Ihrem Blog mit dem großen roten kleinen b schrieb sie jetzt etwas zum Zustand des Journalismus im Netz. Da geht's um Meinungen wie Efeu, Feigenblätter und Branchenfremdes. Sie meint: Alles wird noch schlimmer. Ich freue mich, dass ich Veras klugen Beitrag hier bringen darf, proudly presented:

Von VERA BUNSE

Die Schweizer Medienwoche hat eine
Serie gestartet, in der sie den Zustand des Journalimus im Netz beleuchten will. Den ersten Beitrag, auf den ich hier eingehe, hat Ronnie Grob geschrieben: Der Journalismus im Internet ist eine Enttäuschung. Denn damit Du diesen Text liest, brauchst Du so eine Schlagzeile.

Lieber Ronnie,
du bist ein bisschen unfair (wirklich nur ein bisschen): Es wird schon mit Journalismus Geld erlöst, es kommt dem Journalismus nur nicht zugute.
Dass Journalisten im Netz kaum Geld verdienen, liegt am Austausch von zwangsläufig verrückten Zeitungsleuten gegen kühle Controller. Natürlich muss und soll ein privatwirtschaftliches Unternehmen Geld verdienen, Zeitungen waren aber immer ein Zuschussgeschäft. Lange Zeit liefen sie mit Idealismus und Werbeeinnahmen. Das hat sich durch Digitalisierung und Neoliberalismus geändert: Eine Zeitung lässt sich nämlich ohne Weiteres auch mit Tierfutter, Partnerbörsen oder Immobilien finanzieren. Nur, dass der Bärenanteil des erlösten Geldes nicht mehr in Redaktionen investiert, sondern zur Finanzierung weiterer branchenfremder Unternehmungen ausgegeben wird oder auf den Konten von Aktionären verschwindet.

Die Monetarisierung gedruckter wie gepixelter Inhalte steht gebieterisch über allem. Die Produkte Nachricht und Information, überhaupt “der Journalismus” haben massiv an Bedeutung verloren. Sieh dir die Blogs an, auch die von Journalisten: Auch da gibt es kaum noch leidenschaftliche Leute, die etwas bewegen wollen; die größeren (deutschen) Blogs kannst du an zwei Händen abzählen. Wenn jemand fragt, ob du Blogger bist, kommt todsicher als nächste Frage: “Kannst du davon leben?” Freie werden mittlerweile dasselbe gefragt, und viele können es nicht. Es gibt nicht viele Möglichkeiten, damit umzugehen: auf Qualität pfeifen und den Massengeschmack befriedigen, ein privates Blog aufmachen und hoffen, dass es sich schon irgendwann irgendwie tragen wird,
oder aufhören und was Anderes machen.
Wir haben kürzlich im Freundeskreis diskutiert, ob wir heute noch ein Mehrautorenblog machen würden. Ja, klar, jederzeit – aber nur, wenn die Finanzierung für mindestens ein Jahr durch Brief und Siegel gesichert ist. Qualität wird also hier wie dort nur noch von Leuten hergestellt, die es sich leisten können: durch Festanstellung, Sponsoring, oder weil sie mit einem anderen Beruf ihre Miete reinkriegen. Der Rest krebst so vor sich hin.

Ich verstehe deshalb jeden, der in die PR geht. Er kann sein Schreibhobby weiter pflegen und mit seiner Arbeit die Familie ernähren. Wohl dem, der einen halbwegs sicheren Arbeitsplatz ergattern kann. Wenn die Edelfedern einst ausgestorben sind, wird der eigentliche Nachwuchs längst abgewandert sein und keine Lust mehr auf dann noch ausgedünntere Redaktionen haben, während etwa Coca-Cola ganze komfortable Abteilungen aus dem Boden stampft. Sicher gibt es junge Journalisten mit Köpfen voller guter Ideen. Aber es sind sehr viele, und bis auf wenige Ausnahmen werden sie ihrem gewählten Traumberuf nicht dauerhaft nachgehen können.

“Auswege” wie Facebook: Der Vertriebsweg ist diskutabel, Facebooks ethisches Verhalten ist es nicht. Und was passiert mit den Inhalten, wenn Zuckerberg wieder einmal einen seiner spontanen Einfälle hat? Ich möchte aktuelle Informationen auch nicht von FB beziehen, weil ich nie sicher wäre, ob die nicht gefärbt sind. Ja, sind manche andere auch, da traue ich mir aber eher ein Urteil zu.

Dass aus der Politik Hilfe kommt, halte ich für unwahrscheinlich. In ein paar Bundesländern wird vielleicht dem Journalismus die Gemeinnützigkeit zuerkannt, aber das sind Feigenblätter. So, wie es jetzt ist, ist es doch recht angenehm. Ich lese kaum noch journalistische Attacken gegen Politiker, aber immer öfter, der Politiker X habe im Blatt Y das und das gesagt, und dann wird das Blatt oder der Autor diskreditiert. Oder es wird gleich entlang der Regierungslinie gemeint – berichtet wird ja immer weniger. Wer wegen Unbotmäßigkeit aus den Berliner Zirkeln rausfliegt, hat Probleme. Das wird niemand riskieren, denn wer nicht zum Hintergrundgespräch geladen wird, erfährt nichts mehr, über das er schreiben könnte. So breiten sich die Meinungen wie Efeu aus, während Informationen hilfsweise durch eine Anklage wegen Landesverrats unterdrückt werden. Das ist nicht demokratisch, da aber die ehemalige vierte Gewalt auch sehen muss, wo sie bleibt, müssen wir uns wohl darauf einstellen. In der zerfaserten Öffentlichkeit interessiert sich ohnehin nur noch jeder für sich selbst und vielleicht für die neueste Health App. Womöglich braucht man Journalismus schon gar nicht mehr, und wir haben es nur noch nicht bemerkt.

Jetzt noch schnell eigene Erfahrungen. Anfragen für Texte, Redaktion oder Korrekturen gibt es, nicht viele, aber es würde reichen, wenn die Jobs bezahlt würden. Ich weiß, dass viele Kollegen das kennen und wie ich diese Jobs trotzdem machen, um im Gespräch zu bleiben. Ich rede hier übrigens auch von großen Verlagen, die durchaus bezahlen könnten, werde sie aber – wie es die Kollegen auch machen – nicht benennen, denn es könnte ja doch mal sein … Vorläufiges Ende vom Lied: Ab 1. September kriege ich Hartz IV, obwohl ich viel kann, fleißig, zuverlässig und gut vernetzt bin. Das geht anderen Freien genauso, und absehbar wird sich daran nichts ändern. Es wird sogar noch schlimmer werden. Aber daran sind nicht die mangelnden Erlöse schuld.


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(Die Hervorhebungen sind von mir; alle Rechte am Text hat Vera Bunse.)