Von PETER WELCHERING
Peter Welchering |
Die gegenwärtige
Krise des Journalismus besteht nicht nur im Niedergang des
investigativen Journalismus. Vielmehr sind wir gerade dabei,
Journalismus als solchen abzuschaffen in Deutschland und in Europa.
Aber beschränken wir uns auf Deutschland. Die handelnden Personen
dabei: Verleger, Politiker, Unternehmer und nicht zuletzt:
Journalistendarsteller und solche, die es unbedingt werden wollen.
Der
investigative Journalismus ist gegenwärtig nur noch in einer kleinen
Nische zu Hause. Dort arbeiten Journalisten und Blogger an der
Aufdeckung und journalistischen Darstellung, wie Politiker und
Lobbyisten planmäßig die Unwahrheit sagen.
Aber dieser
investigative Journalismus kann derzeit nur noch als
quersubventioniertes Nischenprodukt überleben. Die politisch
spannenden Geschichte finden überwiegend auf Web-Plattformen statt
und sie werden von Menschen geschrieben, die vom investigativen
Journalismus schon längst nicht mehr leben können.
Damit diese
investigative Arbeit erledigt werden kann, greifen Journalisten auf
ihre Ersparnisse zurück, erledigen andere sog. „Brotjobs“ und
investieren viel sogenannte freie Zeit und privates Geld in Stories,
die geschrieben werden müssen, damit diese Gesellschaft sich noch
einen Hauch von Freiheit bewahrt, damit diese einstmals mit großen
Hoffnungen gegründete Republik nicht zur Bananenrepublik verkommt.
Zum Glück gibt es noch zahlreiche Menschen, die das tun. Aber sie
haben eine Aufgabe privatisiert, die einst von den bedeutenden Medien
wahrgenommen wurde.
Doch die ehemals
bedeutenden Medien machen heute Mainstream-Geschichten, und da
handelt es sich um Blut, Bälle, Beichten und Babies, aber nicht mehr
um den politischen und investigativen Journalismus, den eine
Demokratie braucht, um sich weiter entwickeln zu können. Richterin
Barbara Salesch hat im ökonomisch wichtigen
Aufmerksamkeitswettbewerb den Reporter, der über das Urteil der
Verfassungsrichter gegen die Vorratsdatenspeicherung berichtet,
längst geschlagen.
Doch es bleibt
nicht bei der Krise des investigativen Journalismus. Die Entwicklung
greift weiter. Die Verleger schaffen den Journalismus ab, weil sie
Journalisten ersetzen durch Discountschreiber und
Gute-Laune-Moderatoren in den elektronischen Medien des von den
Verlegern dominierten Privatfunks. Billige Journalisten-Darsteller
lösen die teuren aufklärerischen Journalisten ab.
Die Journalistendarsteller liefern unauffällige Produkte. (Im Radio hat sich dafür der Terminus „durchhörbar“ eingebürgert.) Die teuren aufklärerischen Journalisten liefern Produkte, die zudem nach Erscheinen der Zeitung oder nach der Sendung auch noch Arbeit machen. Denn die entlarvten Durchstecher wollen von ihren Korruptionalien weder lesen noch hören noch sehen und versuchen deshalb die Arbeit der kritischen Journalisten mit Winkeladvokatentricks zu verhindern. Das machen nicht nur bundesweit tätige Finanzdienstleister, das machen auch Bürgermeister vor Ort.
Die Journalistendarsteller liefern unauffällige Produkte. (Im Radio hat sich dafür der Terminus „durchhörbar“ eingebürgert.) Die teuren aufklärerischen Journalisten liefern Produkte, die zudem nach Erscheinen der Zeitung oder nach der Sendung auch noch Arbeit machen. Denn die entlarvten Durchstecher wollen von ihren Korruptionalien weder lesen noch hören noch sehen und versuchen deshalb die Arbeit der kritischen Journalisten mit Winkeladvokatentricks zu verhindern. Das machen nicht nur bundesweit tätige Finanzdienstleister, das machen auch Bürgermeister vor Ort.
Die Politiker
wollen den Journalismus abschaffen, weil sie unliebsame Kontrolle
abschaffen wollen. Sie haben in so manchem von ihnen dominierten
Gremium Erfolg damit. Und die Journalisten schaffen den Journalismus
ab, weil sie ihn nicht mehr ausüben, sondern statt dessen
Hofberichterstattung, Unterhaltung und hintergrundfreien
Sensationalismus betreiben.
Als erstes haben
die Kolleginnen und Kollegen im Lokaljournalismus gezeigt, wie das
funktioniert mit dem Abschaffen des Journalismus. Sie haben sich
schon vor einigen Jahren von der Aufgabe kritischer Aufklärung
verabschiedet. Stattdessen betreiben sie zu nicht geringen Teilen
Hofberichterstattung.
Das kommt den
Verlegern lokaler Zeitungen, die von Geschäften mit den örtlichen
Verwaltungschefs leben, natürlich entgegen. Statt der Aufklärung
verpflichteter Chefredakteure haben die Verleger lieber örtliche
Polit-Agit-Prop-Chefs eingesetzt. Das bricht sich teilweise bis auf
die Ressortebene herunter. Davon ist mitunter die Einstellung von
Volontären sogar betroffen.
Wirkliche
politische Einstellungen spielen dabei übrigens so gut wie keine
Rolle, nur machtstrategische Überlegungen zählen. Das lässt sich
in Baden-Württemberg nach dem Regierungswechsel gut beobachten.
Eine Beispiel:
Meine lokale Heimatzeitung beschäftigt die örtliche
CDU-Agit-Prop-Fachkraft als Leiter der Kreisredaktion. Der Mann kennt
sich im schwarzen Filz aus wie kein anderer und trägt zu dieser
Verfilzung seit 30 Jahren bei. Jetzt aber ist im Mai die seit
Anbeginn der Schöpfung in Baden Württemberg herrschende CDU
abgewählt worden. Was macht die örtliche CDU-Agit-Prop-Fachkraft in
der Redaktion meiner lokalen Heimatzeitung? Sie entdeckt die grünen
Inhalte. Windkraft wird wichtig. Atomkraft wollten die
Christdemokraten eigentlich noch nie haben, da waren sie in der
babylonischen Gefangenschaft der übermächtigen Südwest-FDP. Die
Grünen sind ja auch eigentlich nur angestrichene Schwarze. Und auf
paläokonservativen Kurs kriegt man sie schon noch, wenn man die
Sozialdemokraten endlich entzaubert.
So verfolgt der
einst schwarze Agit-Prop-Redakteur jetzt eine
grün-strukturkonservative Linie, weil sein Verleger hofft, auf diese
Weise doch noch mit der von ihm nicht gewollten und vor kurzem noch
bekämpften grün-roten Regierung über das grün-konservative
Bandenspiel Geschäfte machen zu können. So schafft sich der
Journalismus im Lokalen ab und wird zur Verlautbarungskommunikation
für die Amtsinhaber.
Nun könnte man
dem ganzen Treiben recht gelassen zuschauen und sich damit trösten,
dass Lokalzeitungen ohnehin bald wegdemographiert sein werden. Die
Abo-Zahlen und Reichweiten belegen es deutlich. Aber das Problem
reicht tiefer.
Verleger,
Politiker, Lobbyisten und Journalistendarsteller haben sich schon
längst zu einer großen Koalition zusammengeschlossen, um dem
kritischen aufklärerischen Journalismus das Geschäftsmodell zu
entziehen. So wandern gesellschaftlich wichtige journalistische
Inhalte aus den Tageszeitungen, Zeitschriften und elektronischen
Medien in die Blogs und Podcasts. Natürlich gibt es noch Ausnahmen,
aber der Trend ist deutlich.
Die Konsequenz:
Die Geschäftsgrundlage für kritischen und aufklärerischen
Journalismus entfällt. Journalisten, die ihren Beruf ernst nehmen
und nach allen Regeln der Kunst ausüben, können von dieser
Tätigkeit nicht mehr ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Denn ein
weiterer Trend prägt den Journalismus und treibt seine Abschaffung
voran: Geld verdienen lässt sich mit affirmativer Kommunikation und
Berichterstattung, die die herrschenden Strukturen verfestigen hilft.
Kritischer Journalismus stellt Machtstrukturen in Frage. Weil
kritischer Journalismus aber nur auf Dauer ausgeübt werden kann,
wenn kritische Journalisten ihren Lebensunterhalt damit bestreiten
können und wenn kritische Journalisten die finanziellen
Möglichkeiten haben, um ihre aufwändigen Recherchen betreiben zu
können, scheint das Kalkül der großen Koalition für affirmative
Kommunikation auch aufzugehen, dass es bald keinen kritischen der
Wahrheit verpflichteten Journalismus mehr geben wird, wenn dessen
Geschäftsgrundlage und dessen Geschäftsmodell abgeschafft ist.
Doch es gibt
eine Gegenbewegung. In Blogs und Podcasts, auf Twitter und
Nachrichtenportalen hat sich dieser kritische und der Aufklärung
verpflichtete Journalismus etabliert. Allerdings kann kein hier
tätiger Journalist von dieser Tätigkeit leben. Und darin liegt das
eigentliche Problem. Dem Journalismus 1.0 wird derzeit bis auf wenige
Ausnahmen die Geschäftsgrundlage durch die große Koalition
affirmativer Kommunikation entzogen. Deshalb transformiert er sich in
den Journalismus 2.0. Doch der hat noch keine Geschäftsgrundlage
entwickeln können.
Deshalb leben
wir gerade in einer spannenden, aber auch gefährlichen Zeit. Wenn
der kritische aufklärerische Journalismus überleben will, muss er
als Journalismus 2.0 ein Geschäftsmodell entwickeln. Schafft er as
nicht, hat die große Koalition der affirmativen Kommunikation
gewonnen. Der kritische Journalismus, die Demokratie und diese
Republik, sie alle brauchen tragfähige Geschäftsmodelle für den
Journalismus 2.0. Es wird Zeit, dass wir anfangen, solche Modelle
nachhaltig zu entwickeln und zu betreiben.