Samstag, 22. Juni 2013

Die Verleger schaffen den Journalismus ab

Peter Welchering ist Mitglied des Presserates, für den DJV. Der Mann aus Stuttgart (in Borken geboren) ist ein echter Online-Experte. Als Wissenschaftsjournalist schreibt und produziert er vor allem für Hörfunk und Fernsehen, aber auch für Print. Er lehrt an Journalistenschulen, ist Medientrainer für Manager und bloggt mit Schärfe und Hingabe. Jetzt schreibt er zu meiner Freude auch hier - und zeichnet dabei ein dramatisch fassungsloses Bild vom Zustand des Journalismus in Verlagen: Warum Tageszeitungen sterben. Starker Tobak, proudly presented:

Von PETER WELCHERING
Peter Welchering
Die gegenwärtige Krise des Journalismus besteht nicht nur im Niedergang des investigativen Journalismus. Vielmehr sind wir gerade dabei, Journalismus als solchen abzuschaffen in Deutschland und in Europa. Aber beschränken wir uns auf Deutschland. Die handelnden Personen dabei: Verleger, Politiker, Unternehmer und nicht zuletzt: Journalistendarsteller und solche, die es unbedingt werden wollen.
Der investigative Journalismus ist gegenwärtig nur noch in einer kleinen Nische zu Hause. Dort arbeiten Journalisten und Blogger an der Aufdeckung und journalistischen Darstellung, wie Politiker und Lobbyisten planmäßig die Unwahrheit sagen.
Aber dieser investigative Journalismus kann derzeit nur noch als quersubventioniertes Nischenprodukt überleben. Die politisch spannenden Geschichte finden überwiegend auf Web-Plattformen statt und sie werden von Menschen geschrieben, die vom investigativen Journalismus schon längst nicht mehr leben können.
Damit diese investigative Arbeit erledigt werden kann, greifen Journalisten auf ihre Ersparnisse zurück, erledigen andere sog. „Brotjobs“ und investieren viel sogenannte freie Zeit und privates Geld in Stories, die geschrieben werden müssen, damit diese Gesellschaft sich noch einen Hauch von Freiheit bewahrt, damit diese einstmals mit großen Hoffnungen gegründete Republik nicht zur Bananenrepublik verkommt. Zum Glück gibt es noch zahlreiche Menschen, die das tun. Aber sie haben eine Aufgabe privatisiert, die einst von den bedeutenden Medien wahrgenommen wurde.
Doch die ehemals bedeutenden Medien machen heute Mainstream-Geschichten, und da handelt es sich um Blut, Bälle, Beichten und Babies, aber nicht mehr um den politischen und investigativen Journalismus, den eine Demokratie braucht, um sich weiter entwickeln zu können. Richterin Barbara Salesch hat im ökonomisch wichtigen Aufmerksamkeitswettbewerb den Reporter, der über das Urteil der Verfassungsrichter gegen die Vorratsdatenspeicherung berichtet, längst geschlagen.
Doch es bleibt nicht bei der Krise des investigativen Journalismus. Die Entwicklung greift weiter. Die Verleger schaffen den Journalismus ab, weil sie Journalisten ersetzen durch Discountschreiber und Gute-Laune-Moderatoren in den elektronischen Medien des von den Verlegern dominierten Privatfunks. Billige Journalisten-Darsteller lösen die teuren aufklärerischen Journalisten ab.
Die Journalistendarsteller liefern unauffällige Produkte. (Im Radio hat sich dafür der Terminus „durchhörbar“ eingebürgert.) Die teuren aufklärerischen Journalisten liefern Produkte, die zudem nach Erscheinen der Zeitung oder nach der Sendung auch noch Arbeit machen. Denn die entlarvten Durchstecher wollen von ihren Korruptionalien weder lesen noch hören noch sehen und versuchen deshalb die Arbeit der kritischen Journalisten mit Winkeladvokatentricks zu verhindern. Das machen nicht nur bundesweit tätige Finanzdienstleister, das machen auch Bürgermeister vor Ort.
Die Politiker wollen den Journalismus abschaffen, weil sie unliebsame Kontrolle abschaffen wollen. Sie haben in so manchem von ihnen dominierten Gremium Erfolg damit. Und die Journalisten schaffen den Journalismus ab, weil sie ihn nicht mehr ausüben, sondern statt dessen Hofberichterstattung, Unterhaltung und hintergrundfreien Sensationalismus betreiben.
Als erstes haben die Kolleginnen und Kollegen im Lokaljournalismus gezeigt, wie das funktioniert mit dem Abschaffen des Journalismus. Sie haben sich schon vor einigen Jahren von der Aufgabe kritischer Aufklärung verabschiedet. Stattdessen betreiben sie zu nicht geringen Teilen Hofberichterstattung.
Das kommt den Verlegern lokaler Zeitungen, die von Geschäften mit den örtlichen Verwaltungschefs leben, natürlich entgegen. Statt der Aufklärung verpflichteter Chefredakteure haben die Verleger lieber örtliche Polit-Agit-Prop-Chefs eingesetzt. Das bricht sich teilweise bis auf die Ressortebene herunter. Davon ist mitunter die Einstellung von Volontären sogar betroffen.
Wirkliche politische Einstellungen spielen dabei übrigens so gut wie keine Rolle, nur machtstrategische Überlegungen zählen. Das lässt sich in Baden-Württemberg nach dem Regierungswechsel gut beobachten.
Eine Beispiel: Meine lokale Heimatzeitung beschäftigt die örtliche CDU-Agit-Prop-Fachkraft als Leiter der Kreisredaktion. Der Mann kennt sich im schwarzen Filz aus wie kein anderer und trägt zu dieser Verfilzung seit 30 Jahren bei. Jetzt aber ist im Mai die seit Anbeginn der Schöpfung in Baden Württemberg herrschende CDU abgewählt worden. Was macht die örtliche CDU-Agit-Prop-Fachkraft in der Redaktion meiner lokalen Heimatzeitung? Sie entdeckt die grünen Inhalte. Windkraft wird wichtig. Atomkraft wollten die Christdemokraten eigentlich noch nie haben, da waren sie in der babylonischen Gefangenschaft der übermächtigen Südwest-FDP. Die Grünen sind ja auch eigentlich nur angestrichene Schwarze. Und auf paläokonservativen Kurs kriegt man sie schon noch, wenn man die Sozialdemokraten endlich entzaubert.
So verfolgt der einst schwarze Agit-Prop-Redakteur jetzt eine grün-strukturkonservative Linie, weil sein Verleger hofft, auf diese Weise doch noch mit der von ihm nicht gewollten und vor kurzem noch bekämpften grün-roten Regierung über das grün-konservative Bandenspiel Geschäfte machen zu können. So schafft sich der Journalismus im Lokalen ab und wird zur Verlautbarungskommunikation für die Amtsinhaber.
Nun könnte man dem ganzen Treiben recht gelassen zuschauen und sich damit trösten, dass Lokalzeitungen ohnehin bald wegdemographiert sein werden. Die Abo-Zahlen und Reichweiten belegen es deutlich. Aber das Problem reicht tiefer.
Verleger, Politiker, Lobbyisten und Journalistendarsteller haben sich schon längst zu einer großen Koalition zusammengeschlossen, um dem kritischen aufklärerischen Journalismus das Geschäftsmodell zu entziehen. So wandern gesellschaftlich wichtige journalistische Inhalte aus den Tageszeitungen, Zeitschriften und elektronischen Medien in die Blogs und Podcasts. Natürlich gibt es noch Ausnahmen, aber der Trend ist deutlich.
Die Konsequenz: Die Geschäftsgrundlage für kritischen und aufklärerischen Journalismus entfällt. Journalisten, die ihren Beruf ernst nehmen und nach allen Regeln der Kunst ausüben, können von dieser Tätigkeit nicht mehr ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Denn ein weiterer Trend prägt den Journalismus und treibt seine Abschaffung voran: Geld verdienen lässt sich mit affirmativer Kommunikation und Berichterstattung, die die herrschenden Strukturen verfestigen hilft. Kritischer Journalismus stellt Machtstrukturen in Frage. Weil kritischer Journalismus aber nur auf Dauer ausgeübt werden kann, wenn kritische Journalisten ihren Lebensunterhalt damit bestreiten können und wenn kritische Journalisten die finanziellen Möglichkeiten haben, um ihre aufwändigen Recherchen betreiben zu können, scheint das Kalkül der großen Koalition für affirmative Kommunikation auch aufzugehen, dass es bald keinen kritischen der Wahrheit verpflichteten Journalismus mehr geben wird, wenn dessen Geschäftsgrundlage und dessen Geschäftsmodell abgeschafft ist.
Doch es gibt eine Gegenbewegung. In Blogs und Podcasts, auf Twitter und Nachrichtenportalen hat sich dieser kritische und der Aufklärung verpflichtete Journalismus etabliert. Allerdings kann kein hier tätiger Journalist von dieser Tätigkeit leben. Und darin liegt das eigentliche Problem. Dem Journalismus 1.0 wird derzeit bis auf wenige Ausnahmen die Geschäftsgrundlage durch die große Koalition affirmativer Kommunikation entzogen. Deshalb transformiert er sich in den Journalismus 2.0. Doch der hat noch keine Geschäftsgrundlage entwickeln können.
Deshalb leben wir gerade in einer spannenden, aber auch gefährlichen Zeit. Wenn der kritische aufklärerische Journalismus überleben will, muss er als Journalismus 2.0 ein Geschäftsmodell entwickeln. Schafft er as nicht, hat die große Koalition der affirmativen Kommunikation gewonnen. Der kritische Journalismus, die Demokratie und diese Republik, sie alle brauchen tragfähige Geschäftsmodelle für den Journalismus 2.0. Es wird Zeit, dass wir anfangen, solche Modelle nachhaltig zu entwickeln und zu betreiben.