Stramme Gewerkschafter können einem so richtig auf den Geist gehen. Immer wieder erklären sie uns, wie es in einer heilen Welt laufen müsste. Martin war auch so einer. Sein Standardspruch: „Kann man so sehen...“ Kunstpause, dann folgen: „Muss man aber nicht.“ Und danach Argumente, die schlechtes Gewissen verursachen.
Auch diesmal blieb uns nichts erspart. Zum Beispiel beim Thema Arbeitszeit. „Nach den ganzen Sparrunden hocken wir jetzt 60 Stunden und mehr in der Redaktion“, stöhnte Berti, „aber hilft nichts, das Blatt muss ja voll werden.“ Aus Martins Ecke kam: „Kann man so sehen...“ Wir verdrehten die Augen – und erfuhren, dass wir nichts verändern, wenn wir nicht wenigstens die Überstunden aufschreiben.
Tarifflucht, Sozialabbau – dasselbe. Auch beim Honorar-Etat. „Wieder gesenkt“, berichtete Karin. „Die Freien maulen nicht, weil sie Angst haben, sonst gar nichts mehr zu kriegen. Ist verständlich.“ Martins unvermeidliches „Kann man so sehen...“ wurde durch den Hinweis ergänzt: „Wenn Freie zusammenhalten und sich nicht gegenseitig unterbieten...“
Genug, Martin! Reicht!
Wir hatten die Nase voll. Unser zunehmendes Knöttern gefiel ihm wohl auch nicht. Martin trank aus und verließ die Kneipe. Wir atmeten auf. Puh, solche Gewerkschaftsfuzzis nerven. „Wir wissen doch selbst, dass wir mehr tun und solidarischer sein könnten“, sagte Petra, alle nickten. „Das muss uns keiner ständig unter die Nase reiben.“
Die Tür öffnete sich einen Spalt. Und von draußen erklang eine leise Stimme: „Kann man so sehen...“