Donnerstag, 26. April 2018

Beeindruckend: Das Manifest der Jungen

Die Streiks gehen weiter. Foto: Karlheinz Stannies
Das weiß doch jede Omma, die Vier gehört vors Komma! Trotz solcher Gesänge und Menschenketten, trotz Demos mit Musik und kreativer Aktionen: Die Tarifrunde bei den Tageszeitungen zieht sich, die Medienmanager legten erneut einfach kein annehmbares Angebot vor. Volkmar Kah vom DJV-Landesverband NRW wirft den Verlegern mangelnde Wertschätzung vor - und warnt sie vor den Zukunftsfolgen. Die Verhandlungen wurden erstmal unterbrochen, die Warnstreiks in mehreren Bundesländern verlängert, hier in NRW um vier Tage, also zunächst bis Sonntag, siehe hier.

Klar ist, es geht nicht nur ums Geld. Es geht um viel mehr: um die Zukunft des Berufs, um Chancen für den Nachwuchs. Dies versuchten während der Verhandlungsrunde am Mittwoch einige junge Kolleginnen und Kollegen, den Verleger-Vertretern hautnah deutlich zu machen. Sie sagten ihnen mal, wie es wirklich aussieht in der Branche und den Läden, die sie repräsentieren. Ich dokumentiere hier sehr gerne das beeindruckende "Manifest", das der DJV in einer Tarifinfo verbreitete.

Manifest der Jungen


Sehr geehrte Damen und Herren, werte Verlegerinnen und Verleger,

vielen Dank, dass wir heute die Gelegenheit haben, persönlich mit Ihnen zu sprechen. Wir sind hier als Delegation von jungen Journalistinnen und Journalisten aus Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Bayern. Wir sind hier, um Ihnen zu verdeutlichen, warum wir überproportional mehr Gehalt im neuen Gehaltstarifvertrag fordern.

Seit wir die ersten Praktika im Journalismus gemacht haben, wurden wir vor unserem Job gewarnt. „Die Zukunft ist ungewiss“, hieß es immer, oder „Davon kann man als junger Mensch kaum leben.“ Uns wurde schon immer klargemacht, dass es extrem schwer sein wird, im Journalismus einen Job zu finden, der finanzielle Sicherheit und eine Perspektive fürs Leben bietet.

Wir sind trotzdem hier: Wir sind Journalistinnen und Journalisten geworden. Was wir heute machen, ist viel mehr als Zeitung. Wir schreiben Artikel, bauen Online-Grafiken und Multimediareportagen oder machen Live-Blogs. Wir schreiben Sonderbeilagen und Themenserien. Oder wir drehen Videos und machen Podcasts.

Und das sicher nicht, weil wir reich werden wollen. Denn der Weg in den Journalismus war hart. Als freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben wir mit Zeilensätzen von 10 Cent angefangen. Neben dem Studium haben wir viele unbezahlte Praktika gemacht und dann im Volontariat trotzdem nochmal zwei Jahre lang im Schnitt von 1500 Euro netto gelebt – und das bei stetig steigenden Lebenshaltungskosten. Trotz dieser langen Ausbildung sind viele Einstiegsstellen befristet.

Wir machen Überstunden, Spät- und Wochenenddienste und schicken Artikel mal eben von unterwegs rein. Wir feilen in unserer Freizeit an Konzeptideen und Kamera-Skills und gehen am Wochenende auf Weiterbildungsseminare. Die Anforderungen steigen, die Gehälter nicht. Wir sind in den Journalismus gegangen, weil wir an ihn glauben und dafür arbeiten wollen, dass er eine Zukunft hat. Man könnte sagen, es ist Leidenschaft.

Nur: Irgendwann reicht auch die größte Leidenschaft nicht mehr aus. Wenn wir keine Jobsicherheit haben, wenn wir keine Freiräume für eigene Ideen bekommen, wenn wir von Sparrunden bedroht sind und vor allem: Wenn unsere Arbeit nicht wertgeschätzt wird, auch in Form von Geld, dann gehen wir.

Bei jeder Umstrukturierung heißt es, dass die Zeitung digitaler werden und junge Menschen für sich gewinnen muss. Gleichzeitig wird der Beruf des Journalisten immer unattraktiver. Doch gerade wir als Digital Natives werden gebraucht.

Viele Leistungen haben Sie uns nach 2014 gekürzt.
Wir haben nur noch 30 statt 34 Urlaubstage. Wir bekommen weniger Jahresleistung und weniger Urlaubsgeld. Die letzten drei Berufsjahresstaffeln sind für uns weggefallen, der Übergang in die nächsthöhere dauert vier Jahre statt drei Jahre. Vor allem Online-Redaktionen werden ausgegliedert, um den Tarifvertrag zu umgehen. Diese überwiegend jungen Kolleginnen und Kollegen sind noch deutlich schlechter gestellt. Stellen Sie sich so die digitale Zukunft der Zeitung vor?

Sie wollen gut ausgebildeten Nachwuchs, der rund um die Uhr alle Kanäle bespielt und legen uns dafür ein Angebot vor, mit dem wir jedes Jahr real Geld verlieren. Ein Angebot, das nicht mal über der Inflationsrate von 1,8 Prozent liegt. Seit dem Jahr 2000 gab es für uns Journalisten keinen Einkommenszuwachs, der oberhalb der Inflationsrate lag. Deshalb ist ihr aktuelles Angebot keine Basis, auf der wir die Zukunft des Journalismus verhandeln wollen. Wer an Journalisten spart, spart am Leser.

Die Zeiten haben sich geändert. Wir haben Alternativen. Wir kennen viele gute Journalistinnen und Journalisten, die nach zwei, drei Jahren in die Pressestellen von Audi, Lidl, Bosch und Co. gewechselt sind. Bei jungen Online-Portalen, den öffentlich-rechtlichen Sendern und in der Privatwirtschaft suchen sie Leute wie uns. Weil wir mit Daten jonglieren und Videoschnitt beherrschen, uns auf den sozialen Plattformen bewegen und gerne neue Formate ausprobieren. Wir sind der Meinung, wer investiert, aufbaut und ausprobiert, bekommt nicht nur guten und motivierten Nachwuchs, sondern schlägt auch neue und lukrativere unternehmerische Wege ein. Die meisten Unternehmen haben das erkannt und stellen sich darauf ein.

Wir sind die Generation Erasmus, die sich nicht mehr zwangsläufig an Orte oder Unternehmen bindet, sondern geht, wenn die Wertschätzung fehlt. Für Sie, liebe Verlegerinnen und Verleger, ist das ein Problem: Gehen die jungen Leute, gehen auch die jungen Themen. Natürlich brauchen Sie Redakteurinnen und Redakteure mit jahrelanger Erfahrung, mit tollem Fachwissen, mit edlen Federn. Aber es sind die jungen Themen, mit denen Sie junge Menschen im Netz und in den Printausgaben ansprechen wollen. Und es sind wir, deren Fähigkeiten Sie für junge Themen, das digitale Jetzt und die Zukunft brauchen. Wenn Sie jetzt kein Geld in uns investieren, erzeugen Sie Ihren eigenen Fachkräftemangel!

Wir fordern keine Gehälter wie bei Bosch oder dem SWR. Wir fordern: Bemühen Sie sich um uns! Und dazu gehört vor allem auch die Bezahlung. Zum Vergleich: Für Pressesprecher und Pressesprecherinnen beginnen branchenübliche Gehälter bei etwa 44.000 Euro Brutto-Jahresgehalt. Üblich ist deutlich mehr. Bundesweit tätige Konzerne zahlen einem Pressesprecher 85.000 Euro im Jahr. Der Ausbildungsweg ist der gleiche. Viele von unseren ehemaligen Kolleginnen und Kollegen sind deshalb dorthin abgewandert.

Chefredakteure und Ausbilder merken, dass die Zahl der guten Bewerbungen für Volontariate und Journalistenschulen zurückgegangen ist. „Es ist nicht mehr so leicht, guten Nachwuchs zu finden“, sagte einer unserer Chefredakteure kürzlich. Trotzdem: Wir möchten in diesem Beruf bleiben, und wir möchten gerne bei einer Tageszeitung bleiben. Wir glauben an diesen Journalismus und wir denken, dass gerade mit regionalem digitalen Zeitungsjournalismus gutes Geld verdient werden kann.

Als Verleger haben Sie einen gesellschaftspolitischen Auftrag. In Zeiten, in denen der Journalismus angegriffen wird, Stichwort Lügenpresse, brauchen Sie gut ausgebildeten Nachwuchs, der das Vertrauen der Leserinnen und Leser zurückgewinnt. Wir haben den Eindruck, es geht nur noch ums Sparen, statt um Visionen. Um Effizienz, statt um Qualität. Investieren Sie Geld in uns und unsere Arbeit. Sie wissen, dass wir Ihre Zukunft sind. Lassen Sie uns das spüren, durch Wertschätzung und eine deutliche Gehaltssteigerung. Nur so bleibt der Job attraktiv für top ausgebildete Nachwuchsjournalisten. Zeitung wird von Menschen gemacht. Sie wollen keine unkritischen Content-Lieferanten, oder?

Nehmen Sie unseren Idealismus nicht für selbstverständlich. Denn wir werden das sinkende Schiff im Notfall verlassen. Versuchen Sie nicht länger, den Journalismus kaputtzusparen. Sonst müssen Sie bald alleine an Ihrer Zukunft schrauben.