In ein Ladenlokal neben der Kneipe „Endzeit“, keinen Steinwurf von den Gleisen entfernt, zog vor einigen Wochen Gigo Propaganda ein. Ein Künstler. Und er bemalt seitdem ein stillgelegtes altes Gas-Tankstellenhäuschen und Fassadenteile des benachbarten, fast verlassenen großen Wohnhauses Altenessener Straße 220. Immer wieder. Immer wieder drüber. Er irritiert damit einige Altenessener und Lokalpolitiker ("Schande!"), aber nur wenige. Und lockt damit inzwischen sogar interessierte Besucher aus anderen Städten an.
Gigo Propaganda, im Hintergrund die Fassaden, die er bemalt |
„Ich möchte vergessene und gemiedene Orte und Bauten wieder in der Bewusstsein der Menschen zurückholen und so einen Austausch über die Zukunft dieses Ortes beginnen – und so einen Entwicklungsprozess anstoßen“, schrieb Gigo Panorama auf ein Flugblatt, mit dem er am Wochenende zur ersten Zwischenbilanz einlud. 150 Menschen kamen! Auf seiner Webseite beschrieb er seine Arbeit so: „Getarnt als Schmiererei verstecke ich die Kunst an den Wänden des Alltags. Unauffällig wertet die Kunst die Strasse, den Fussweg, den Spielplatz, die Schulhallenwand auf.“
Er begann mit einer Bestandsaufnahme, interviewte Mieter und Hausbesitzer. Was ist uns wichtig? Wie soll der Stadtteil werden? Wie wollen wir zusammenleben? Aus ihren Aussagen filtere Gigo Schlagworte, die er auf die Wände pinselte.
Hans-Jürgen Holtrichter |
Das Ladenlokal gegenüber, in dem zuletzt ein Tätowierer stach, hat ihm Hausbesitzer Hans-Jürgen Holtrichter (70) völlig kostenfrei überlassen: „Am Anfang war ich skeptisch, habe mich mit dem jungen Mann unterhalten. Inzwischen stehe ich voll zu der Aktion. Wir wollen etwas ändern in dieser Gegend, die Situation verbessern, gerade hier am Bahnhof – und ohne eine gewisse Provokation läuft wohl nichts.“
Was Gigo Propaganda an Altenessen reizt? Altenessen habe eine reiche Geschichte, voller Extreme, schreibt er, und "ein daraus resultierendes, heftiges Jetzt und eine Zukunft voller Perspektiven. Bereits in der kurzen Zeit bin ich Menschen begegnet, die mir mehr als erwartet geboten haben. Es steht ein erfreuliches und mit AHA gefülltes Erleben und Entwickeln an. Wohlwissend, dass die freie Kunst all ihre Instrumente auffahren muss und es viel Kraft und Fleiß bedeutet, sage ich: ALTENESSEN MACHT AN!“
"Lost Locations", vergessene Orte zurückgewinnen - Gigo nutzt dafür „Mural Art“. Ich würde es banausenhaft mit Wandkunst übersetzen. Er wurde vom Stadtteilprojekt Altenessen in die Bahnhofsgegend vermittelt. Geholfen hat dabei das Projekt "Kunst schafft Stadt" des Soziokulturellen Zentrums Zeche Carl. Es gibt nämlich noch andere Künstler, die in Altenessen eingefallen sind. Sie drehen Videos und machen Performances wie Rosh Zeeba, sind Theaterleute wie Manuel Schmitt Nagler oder „Beatboxer“ wie Jibel Jay. Alle gehören zum dreijährigen Projekt „Kunst schafft Stadt“ der Zeche Carl – gefördert vom Land NRW. Näheres hier.
Im Kulturhauptstadt-Jahr (2010) hieß das Motto: „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“. Möge beides in Altenessen gelingen.