Mittwoch, 28. April 2021

Lungern und hecheln

Bernd Berke
Lungern und hecheln - "Journalismus", der entgeistert. So überschrieb Bernd Berke, lesbar leicht angewidert, seinen Frust-Stoßseufzer über viele(s) und so manche Entwicklung in unserer Profession. Bernd macht seit nunmehr über zehn Jahren (jesses, die Zeit vergeht) den wohl besten Kultur-Blog der Region: RevierPassagen. Mit einem Wahnsinns-Archiv bis zurück in die 90er. Früher war Bernd bei der Westfälischen Rundschau (als diese noch kein Zombie war, sondern eine Redaktion hatte). Ich habe ihn gefragt, ob ich seine "Entgeisterung" von Ende Februar auch bei mir vorstellen darf. Und siehe da: Proudly presented!

Von BERND BERKE

Manchmal kann einem dieses ganze journalistische Gewerbe, kann einem der ganze (kommerzielle) Medienbetrieb schwerstens auf den Senkel gehen.

Da ist beispielsweise der Lungerjournalismus in Gestalt von Kolleg*innen („man“ soll ja füglich gendern), die stundenlang auf Fluren herumhängen, um wenigstens einen einzigen knackigen Satz aus dem Munde hochwichtiger Polit-Darsteller*innen einzufangen. Ein paar Stunden später ist dies entweder der Talkshow-Aufreger No. 255 oder halt schon das Geschwätz von gestern. Solche Warte-Jobs mögen teilweise gut bezahlt sein, aber ach: Wie öde sind sie doch! Wenn sie sich nach einem solchen Tag ehrlich selbst befragen würden („Was hast du heute bewirkt?“), wie müsste die Antwort dann wohl lauten?

Twitter schlägt Tagesschau

Auch weiß man gar nicht mehr, worauf sich speziell die Fernsehleute so mächtig viel einbilden. Das Fernsehen hat sich als lineares, an Sendezeiten gebundenes Programmzeitschriften-Medium weitgehend erledigt, auf gewissen Kanälen werden die vielfach kläglichen Bildchen-Häppchen nur noch für Senioren versendet. Derweil heimsen YouTuber, TikToker, Influencerinnen und derlei hippes Völkchen mit fortwährender Selbstdarstellung die wahren Quoten und Followerzahlen ein. Manche Tweets haben mehr Zugriffe als die „Tagesschau“ um 20 Uhr, die früher einmal als Maß der Dinge gegolten hat.

Dienstag, 20. April 2021

Murmeltier im Vereinsheim

An jeder Ecke... (Karikatur: Karlheinz Stannies)
Tobias‘ Lippen zuckten. Schon bald würden sich in den Mundwinkeln Spott und Hohn einnisten. Selbst an unseren Laptops konnten wir erkennen: Da baut sich sein berühmtes Bullshit-Grinsen auf. Das hat er drauf, seit Medienmanager mit treuem Augenaufschlag behaupteten: Ja, wir bauen Personal ab, aber das steigert die Qualität. Warum grinste er wohl diesmal? Etwa weil Twitter nach zahllosen Aufforderungen, endlich gegen Hass und Fake News vorzugehen, damals Trump rausgeworfen hatte? Oder weil der WDR die Bücherrezensionen vom Stammplatz streichen will – damit Kultur im Sender abwechslungsreicher wird? Oder weil der Stern seine Politikredaktion schließt? Sicher wegen der Qualität.
Tobias grinste und schwieg. Auch noch nach der dritten Runde Probleme-Wälzen am Stammtisch, den wir seit dem Hype um die Audio-App Clubhouse nur noch „Vereinsheim“ nannten. Es war wie am Murmeltiertag in Punxsutawny: irgendwie immer dasselbe. Die Freien nagen mehr denn je am Hungertuch. Die Öffentlich-Rechtlichen ziehen die Sparschrauben noch stärker an. Die Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten werden bedrohlicher.
„Fühlt ihr euch auch wie Sündenböcke?“ fragte Dennis.

Mittwoch, 23. Dezember 2020

Auf der Suche: (Kaum) Bares für Wahres

Der virtuelle Kongress des Deutschen Journalismus-Retter Verbands (DJRV) flimmerte nun schon vier Tage über die Displays der Medienexperten. Aber noch immer wurden Journalisten geschlagen und bedroht, beschimpft, missachtet und ausgebeutet – trotz zahlloser Vorschläge war noch kein Patentrezept für den Journalismus gefunden. Geschweige denn eine Finanzierung.

Von „nicht gemein machen“ bis „authentisch gemein sein“, von „Grünschnäbel haben keine Ahnung“ bis „Ey, alter Sack, mach endlich Platz“: Beim Buzzwort-Bingo waren alle Phrasen schon mindestens dreimal gefallen. Kein Wunder, dass ab und zu leises Schnarchen aus den Lautsprechern klang.

Besonders frustrierend: Nicht einmal die Tagesordnung („Erst das Untergangsszenario, dann das Überleben einzelner in der Nische?“) war bisher beschlossen worden. Ständig meldete der Dienstleister: „Geduld. Wir zählen noch.“ Viele vertrieben sich die Zeit auf anderen Kanälen.

Zapp. Die Spitzen von Horst Lichters Schnurrbart zitterten: „Albert, das ist wirklich was Rares.“ Auch der Experte schaute begeistert in das Schatzkästchen. „Siehst Du dieses Schimmern, Horst? Das ist guter, alter, echter, seriöser Journalismus.“ Der Anbieter strahlte. Er hoffte für seine Leute auf viel Bares für Wahres.

Aber bei den Händlern stockte das Bieten. „Wir wissen nicht so recht, ob wir so etwas überhaupt noch verkaufen können“, erklärte der Junge. Das Netz sei doch voll davon. Zumindest von Ähnlichem. Okay, vielleicht auch nur ein Abklatsch, voller Hintergedanken und Fehler, aber die Leute lieben es. „Was ist denn die Schmerzgrenze?“ Der geschockte Anbieter schraubte die Hoffnungen schon herunter, als er sagte: „Wir hatten an 4 Prozent mehr gedacht, mindestens 200 Euro pro Monat.“ Die Händler schoben die Schatzkiste entschlossen von sich. Waldi hatte Mitleid: „Ich sage mal: 80 Euro. Aber mehr ist der Prügel nicht wert.“

Zapp. Der Kongress fragte sich gerade, ob die vielen Millionen von Staat und Google wohl zur Rettung reichen werden. „Das sahnen wieder nur die Großen ab“, meinte einer. Eine Sammlung für die Kleinen hatte wirklich nicht viel erbracht. Im Beutel lagen gerade mal drei Knöpfe.

Zapp. „Wer ist der Pfau?“ fragte Moderator Opdenhövel immer wieder. Bei „The Masked Writer“ mussten Verkleidete an Zitaten erkannt werden. Der Pfau fächerte sein schillerndes Rad auf, kreischte: „100 Prozent Journalismus. Keine Märchen.“ Zu einfach.

Zapp. Huch, der Kongress-Stream war leer. Über ein Laufband flimmerte: „Wegen Meinungsvielfalt vertagt.“


Dienstag, 1. Dezember 2020

Der schmale Grat

Wenn die Sucher zum Aussucher werden...
Karikatur: Karlheinz Stannies
Spätestens seit „Der Pate“ weiß das jeder: Es gibt Angebote, die kann man einfach nicht ablehnen. Zum Beispiel, als Springers Friede ihrem Mathias zusäuselte: Werde mein Nachfolger, Du kriegst auch 'ne Millarde. Wir wären gern dabei gewesen. Hätte Döpfner das reizende (und wohl ziemlich steuerfreie) Geschenk seiner Chefin ausschlagen sollen? Hätte er nicht vorschlagen müssen: Schenke die Aktien lieber Deiner noch nicht gefeuerten Belegschaft, die dem Haus die Treue hält.

Klar, keiner von uns hätte nein gesagt. Schließlich ging es um viel Geld, viermal mehr als der Staat in die digitale Zukunft der ganzen Zeitungsbranche investieren will. Barbara machte uns nachdenklich: „Man könnte damit zigtausend verarmte Freie Journalisten vor dem Verlust ihrer Existenz bewahren, dazu jede Menge Jobs dauerhaft retten – und hätte immer noch mehr Knete übrig, als man zum Leben braucht.“ Reine Theorie. Schließlich kannte niemand von uns eine flotte Witwe, schon gar keine spendable. Hat jemand mal die Nummer von Liz Mohn? Mehr fiel uns nicht ein. Erbärmlich.

„Ja, Nachfolger-Suche kann teuer werden“, brummelte Gaby. „Meint ihr, auch Kurt Bauer hat sich einen Nachfolger gekauft?“ Wir lachten lange über diese rotzfreche Frage. Nein, seine Mehrheit am Medienhaus Bauer – immerhin sechs Generationen im Familienbesitz – hatte Lensing-Wolff bestimmt nicht für lau bekommen. „Der zu erwartende Abbau der Meinungsvielfalt wird hoffentlich teuer“, giftete Patricia.

Der Stammtisch balancierte heute wirklich souverän Humor und Bosheit. Ein schmaler Grat. „So schmal wie zwischen Genie und Wahnsinn“, sagte Harald, „oder zwischen kritischen Journalisten und einfach nur affigen Kotzbrocken. Ich kenne da zwei oder drei.“ Wir grinsten. „Oder zwischen Clickbaits und Journalismus“, brachte Klaus ins Spiel. „So manche Klickschinderei schädigt nämlich das Ansehen der Presse“. Stimmt, hat der Presserat auch gesagt. „Hat Funkes Der Westen schon darüber berichtet?“, stichelte Martina.

Mittlerweile hatte die Technik vieles im Griff: Die Aktionen unserer „Kunden“ wurden gezählt, gemessen, bewertet, in Echtzeit. Je mehr Klicks desto mehr Werbung und Erfolg. Algorithmen entscheiden über Inhalte, Roboter schreiben längst Texte. Was würde erst Künstliche Intelligenz bringen? Wir sahen zu, wie Karla dem runden Ding auf dem Tisch hinter ihr zurief: „Hey, Siri, gibt es eigentlich auch Künstliche Dummheit?“ Die Maschine dachte drei, vier Sekunden nach. Und schnurrte dann freundlich: „Ich bin sicher, dafür braucht ihr unsere Hilfe nicht.“



Freitag, 14. August 2020

Zweiundzwanzig mit sieben Nullen




Karikatur: Karlheinz Stannies


Der Beschluss kam echt überraschend, angeblich sogar für die Zeitungsverlage selbst. „Auch Politiker des Haushaltsausschusses konnten sich hinterher kaum noch erinnern, wie er zustande kam“, schmunzelte Oliver in unsere virtuelle Stammtisch-Runde. Wir grinsten. Irgendwer würde bestimmt bald eine neue Studie zur überraschenden Wirkung von Druckverlegern (also Politik, nicht Print) machen. Bianca spekulierte: „Vielleicht ist der an konkrete Zukunftsprojekte geknüpfte Geldsegen sogar eine Rache der dauerbedrängten Politiker?“

Jedenfalls: Statt 40 Millionen Euro für Zeitungsboten pumpen die Politiker nun 220 Millionen Staatsknete in die Verlage. Für Investitionen in die digitale Veränderung. „Wow“, witzelte Gabi, „das ist eine 22 mit sieben Nullen. Da muss eine arme Freie wie ich lange für Texten“. Fotograf Peter zückte seinen Rechner: „Honorar für 15 Millionen Fotos. Da kriege ich bestimmt Knipsfinger-Kater.“ Galgenhumor können wir. „Und die Westfalen-Blatt-Gruppe könnte glatt im Tarif bleiben“, warf einer ein. „Quatsch, die nehmen alles mit. Koste es was oder auch wen es wolle. Außerdem sind Aschendorff und Co ja vorbelastete Triebtäter in Sachen Tarifflucht.“ Die armen Kostenstellen, ähm, Kolleginnen und Kollegen dort.

Apropos Tarife. „Habt ihr eigentlich mitbekommen, dass wir eine Tarifrunde hatten?“ fragte Detlev. Kopfschütteln auf allen Bildchen im Display. Plötzlich war er irgendwie da, dieser Corona-Notfalltarif, gültig bis zum Jahresende. „Gute Sache“, meinte Karin, „vor allem die zusätzliche Honorarzahlung an die Freien. „Obwohl“, kam die Arbeitskampf-Romantikerin bei ihr durch, „so ein Streik im Home-Office wäre bestimmt eine nette Erfahrung gewesen.“ Trillern vor dem Frühstück, Plakate malen mit den Kids, Familien-Sprechchöre vom Balkon.

„Wichtig ist auch die Arbeitsplatzsicherung im Krisen-Tarif“, sagte Fritz. Ja, stimmt. „Aber wir bezahlen die zum Teil selbst: Kündigungsschutz gibt’s ja nur da, wo die Arbeitgeber unser Weihnachtsgeld kürzen dürfen.“ Immer nur sparen, streichen. Ob die 220 Millionen Euro für uns etwas ändern? Wir zweifelten. „Zumal in den Verlagen jetzt blanke Panik herrscht“, berichtete Mina. „Keiner hat genug Ideen, wofür man die aufgedrängte Staatsknete abrufen könnte. Einfach in die Rendite packen geht wohl nicht.“ Wir stöhnten voller Mitleid auf. Nelli legte nach: „Ich hörte, dass die Verleger ihre Krisen-Webkonferenz immer noch nicht machen konnten – jeder hat sein eigenes System und besteht drauf.“ Diesmal brüllten wir vor Lachen: Das ganze Digitalzukunftsdrama der Medienhäuser in einem Satz.