Samstag, 18. April 2020

Der Klickschinder-Hannes

Corona-Redaktion, offene Fragen...
Karikatur: Karlheinz Stannies
Wir hockten alle zu Hause vor unseren Computern. Video-Stammtisch im Zeitalter von Corona, seit Wochen schon. Anfangs gab's Technik- und Disziplinprobleme: Ey, wir sehen nur Deinen Bauch! Wen haben wir gerade verloren? Kannste mal die Hitparade im Hintergrund abschalten? Du könntest Deine Bude auch mal wieder aufräumen. Solche Sachen. „Habt ihr auch alle schön die Anti-Viren-Programme hochgefahren?“ flachwitzelte Klaus immer noch jedes Mal am Anfang.

Karla hielt eine Rolle Klopapier in die Kamera: „Hat mein Mann im März gehamstert. Unser Vorrat reicht bis mindestens 2026.“ Meike kicherte: „Notfalls gibt’s ja noch Zeitungen.“ Stimmt. Die australische Lokalzeitung NT News erschien kürzlich mit acht leeren Seiten, zum Zerschnibbeln, als Wisch-Ersatz. Einlagig.

Ohne Zweifel ein Service, den Online nicht bieten kann. „Dafür haben wir viele andere Vorteile“, warf Hannes ein. Uns war aufgefallen, dass er immer wieder gehetzt auf sein Handy eintippte. Das machte uns neugierig. „Wir haben da eine Software“, erklärte der Onliner, „die uns zeigt, wie oft unsere Texte aktuell angeklickt werden.“ Und ihm würden gerade noch sechs Klicks fehlen. Für den Tagessieg im internen Wettstreit der Redaktion. Preis: eine Überstunde wird anerkannt.

„Könnt ihr nicht mal eben auf meinen Text surfen und ein paar Mal klicken“, ließ Hannes die Katze aus dem Sack. „Aus Solidarität.“ Wir dachten an die vielen Streiks und Aktionen, bei denen er stets fehlte. Überhaupt gefiel uns diese ganze Klickschinderei im Online-Journalismus nicht. Hund verschwindet spurlos – unfassbar, wo er sechs Jahre später wieder auftaucht. Schock-Prognose: Bald 10 Millionen Infizierte, wenn...

„Besonders eklig wird es“, verzog Katrin ihr Gesicht, „wenn nach Tragödien Reißer-Überschriften nach Lesern lechzen“. Solche wie „Es machte plopp, plopp, plopp – immer wenn das Auto...“ Menschenverachtend. Wir fragten uns, ob die Produzenten überhaupt noch Journalisten sind. „Jedenfalls sind die nicht wichtig für die Gesellschaft“, stellte Ulf klar. Ordentliche Journalisten dagegen schon: „Wir sind ja jetzt als systemrelevant anerkannt. Zumindest als kritische Infrastruktur.“ Wir schmunzelten: „Da muss erst ein Virus die Welt bedrohen, bis das der Politik auffällt.“

***

P.S.: Natürlich haben wir dann noch für Hannes geklickt. Solidarität und so. Und gehofft, dass die Politiker unsere am Virus verarmenden Freien nicht im Stich lassen. Relevanz und so.

Mittwoch, 19. Februar 2020

Und die Chöre singen für Dich

Liebe Leserinnen und Leser! Ich möchte mich hier schon vorsorglich, also ohne Wenn und Aber, bei Ihnen...

Karikatur: Karlheinz Stannies
„Ja, ja“, würgte Paul die voreilige Entschuldigung ab. Nur um mit Nachdruck festzustellen: „Gut oder schlecht, Satire darf alles. Auch respektlos sein. Gegen alles!“ Außer gegen Tiernahrung, alberte Martina. Und was ist mit Omas? Der Umgang des WDR mit dem Umweltsau-Satire beschäftigte den Stammtisch. Die Sofort-Entschuldigung, sogar in Sondersendungen, das schnelle Löschen des Videos – viele WDR-Leute fühlten sich vom Intendanten schmählich im Stich gelassen. Zumal der Kotau weder Shitstorms noch Demos, beides von rechts angezettelt, verhinderte.

„Dabei wurden gar nicht alle Omas angegriffen“, maulte Claudia pingelig, „höchstens die mit den aufgezählten Umwelt-Sünden.“ Differenzierung ist heute leider nicht mehr üblich. Schon gar nicht bei den Rechten oder in den unsozialen Netzwerken. Wie auf Stichwort stand der Chor der Diversen um den Stammtisch herum:

Unsere Oma sagt, die Braunen sind in Ordnung. (In Ordnung, gute Leute.)

Wir zuckten zusammen. Hielten die Luft an. Die Braunen sind prima?

Und die mit gelber oder roter Haut sind's auch.

Puh. Und da war sie wieder, die patente Oma. In unseren erleichterten Beifall mischte sich Getrappel. Der Chor der Vogelfreien stellte sich auf:

Unser Auftraggeber glaubt, wir sind nicht wichtig. (So wichtig, so nützlich.)
Unser Auftraggeber hält uns für Idioten. (Für Sklaven, austauschbar).
Und er zieht beim Honorar uns über'n Tisch.
Unser Auftraggeber ist 'ne echte Dumping-Sau.

Tolles Satire-Lied. Und leider so wahr. Ob bei Geld oder Rückhalt – die Freien haben es überhaupt nicht leicht. Nicht mal die öffentlich-rechtlichen. Wenn sich schon Leute wie Richard Gutjahr über mangelnde Unterstützung beklagten. Ein Hammer, dass sein Intendant ihm damals riet: Geh' doch zum DJV, wenn Du Hilfe brauchst. Hinter uns ein Räuspern. Der Herner Volokurs-Chor hatte seinen Auftritt:

Der Kollege kennt im Newsroom stets nur Eile. (Will vorn sein, Reichweite.)
Durch Recherche ging manch schöne Zeile baden. (Luft raus, Klicks weg.)
Schon Gerüchte sind für ihn der heiße Scheiß.
Der Kollege ist 'ne echte Fake-news-Sau.

Der Abend konnte noch lang werden. Angesagt hatten sich noch die Anklage-Chöre der ausgebooteten Oldies, der vernachlässigten Fotografen, der belogenen Betriebsräte, der...

Jetzt aber. Liebe Leserinnen und Leser! Falls Sie von der vorschnellen Truppe sind und sich vorhin durch das Liedchen bloßgestellt fühlen, möchte ich mich hiermit schnellstens bei ihnen entschuldigen, ohne Wenn und Aber. Das wird man doch noch...


Samstag, 4. Januar 2020

In diesen Zeiten Journalist werden? Tja, mh, äh...

Bernd Berke
Der Dortmunder Journalist Bernd Berke gehört zu den wenigen Menschen, die mich Banausen hin und wieder zur Kultur locken. Genauer: zu seinem Blog Revierpassagen. Das ist voll davon. Bernd und eine Menge Kolleginnen und Kollegen berichten dort seit 2011 über Kulturelles im Ruhrgebiet. Da geht es beileibe nicht nur um Oper, Theater, Bücher. Der Wahnsinn ist das Archiv, in dem sich sogar Feuilleton-Beiträge der Westfälischen Rundschau (als sie noch kein Zombie war) und des Kulturblogs Westropolis (als es das noch gab) finden lassen; derzeit zurück bis 1993. Bernd, der mit der Westfälischen Rundschau seine langjährige publizistische Heimat verlor, hat sich jetzt Gedanken zum Journalisten-Beruf gemacht. Sollte man? War es früher besser? Seine "gesammelten Bemerkungen" darf ich hier übernehmen. Proudly presented:

Von BERND BERKE


Ob man/frau heute noch einmal den journalistischen Beruf ergreifen oder sich gar von ihm ergreifen lassen sollte? Mh, ich weiß nicht so recht.

Dies soll gewiss keine Berufsberatung werden. Doch auch kein unumwundenes Abraten. Nur ein paar gesammelte Bemerkungen. Wer in sich eine entsprechende Begabung fühlt, mag es sicherlich weiterhin versuchen. Aber leicht wird es nicht. Doch wird es beispielsweise leichter sein, Lehrer zu werden und über Jahrzehnte zu bleiben? Wohl kaum.

Einst Insignien in Print-Redaktionen, heute
längst museal: Typometer und graphische
Rechenscheibe (Foto: Bernd Berke
Zu den Zeiten, als „meine Generation“ (yeah, yeah!) im journalistischen Job anfing, war noch manches anders, die spürbaren Veränderungen kamen erst nach einigen Jahren – zuerst schleichend, dann rasend. „Damals“ sah man in der Straßenbahn und an vielen anderen Orten noch lauter Menschen mit Zeitungen (oder mit Büchern). Und heute? Nun, ihr wisst schon, was ich meine. Manchmal ist es bestürzend.

Aktualität war seit jeher mediales Gebot, auch Zeitdruck ist im Print-Gewerbe und bei anderen journalistischen Hervorbringungen natürlich keineswegs neu. Im Gegenteil. Ehedem wurden Zeitungen laufend aktualisiert, bis in die Nachtstunden hinein. Zehn Jahrzehnte vor unserer Zeit, in den legendären 1920er Jahren, gab es noch Rezensionen, die gleich nach Schluss der Aufführungen gedruckt wurden. Aber hallo!

Doch heute werden Nachrichten und Kommentare nicht nur schnell, sondern oft genug vorschnell verfertigt, noch während und indem die Geschehnisse sich bewegen. Unsere täglichen Eilmeldungen gib uns heute. Halbgare Stoffe werden schon hastig um und um gewendet, ehe die Wahrheit (ach ja!) ihren ersten zarten Anschein zu zeigen vermag. Inzwischen sind Berichte unter der demonstrativ wägenden Standard-Zeile „Was wir wissen – und was nicht“ ja schon ein eigenes, immerhin halbwegs seriöses Genre.

Auch war längst nicht dieser furchtbar freigelassene, entfesselte Hass unterwegs wie heute.

Dienstag, 31. Dezember 2019

Raus-rein! (... aus der Matte ... in die Gewerkschaft)

RAUS aus der (Lethargie-) Hängematte, REIN in die
Gewerkschaft - die Fundstücke aus der Lego-Grabbelkiste
sollen diesen Wunsch an meine Kolleg(inn)en ausdrücken.
Foto: Karlheinz Stannies
Auch nach 40 Mitgliedsjahren kann mich meine Gewerkschaft, genauer: der Landesverband NRW der Deutschen Journalisten-Gewerkschaft (DJV), immer noch überraschen. Eigentlich bin ich, als uralter Betriebsrat, sehr skeptisch, wenn es um Workshops, Gutachten, Mediation oder Beratungen geht. Wenn man glaubt, man könne nur noch mit Hilfe von Auswärtigen eigene Ziele definieren oder Probleme lösen, hat man eigentlich schon verloren.

So denke ich halt. Nach vielen Erfahrungen auf betrieblicher Ebene. Wenn Berater am Ende wieder einmal genau das empfahlen, was ohnehin geplant war. Oder wenn Gutachter auf wundersame Weise exakt die beauftragte Prozentzahl trafen. Oder wenn die zumeist auch noch sündhaft teure fremde Hilfe letztlich nur das bestätigte, was die ungefragten Kolleg(inn)en gesagt hätten - wenn sie denn gefragt worden wären.

Und ja, dann hatte ich doch, trotz aller Bedenken, an einem Workshop (von mehreren) teilgenommen.

Wer sind wir? Wo wollen wir hin? Was können und müssen wir tun? Der DJV NRW hat einen umfangreichen "Zukunftsprozess" gestartet - mit Umfragen, Interviews, Workshops. Und dabei waren vor allem die "normalen" Mitglieder gefragt, nicht etwa nur Funktionäre in internen Runden.

Wir haben sieben Stunden lang Stürme in den Gehirnen entfacht,

Freitag, 27. Dezember 2019

Journokalypse now

Fürchterliche Blitze durchzuckten den blutroten Himmel, warfen grelle Lichter auf die Reiter. Tiefes Grollen ließ das Tal erzittern. Putz bröckelte von den Wänden. Alle bangten, auch die rotierenden Rollen könnten aus den Halterungen springen. Doch das Papier sauste. Die Reiter der Journokalypse rissen an den Zügeln, die Pferde stellten sich wiehernd auf. Der erste Reiter erhob seine Stimme. Die Worte vibrierten durch Mark und Bauch: „Jungs, wir sind wieder zu früh. Die drucken immer noch.“ 

Verkostung, mit Schrecken
Karikatur: Karlheinz Stannies
Wir applaudierten. Klaus war mit diesem Beitrag zweifellos der Sieger unseres Geschichten-Wettbewerbs. Wir nannten es Stammtischtelling. „Was meint ihr“, fragte Klaus, „soll ich noch ein paar Sätze anhängen? Etwa so: Die Reiter stoben, TikTok TikTok, zurück ins Land Online. Dort warteten bereits neue Trends auf Vernichtung, weil sie von allerneuesten Trends abgelöst werden mussten...“

Nicht übertreiben, Klaus. Die besten Trends, da waren wir uns einig, sind guter Journalismus und verstärktes Überprüfen von Tatsachen. „Die Faktenchecks zeigen Wirkung“, strahlte Karin. „Jetzt klagen schon Rechtsblogger dagegen, dass sie überprüft werden. Natürlich vergeblich.“ Wir grinsten uns an. Weitermachen!

Karins Story-Versuch hatten wir übrigens schnell abgewürgt. „Kauft ein Ehepaar einen Verlag...“ war als Einstieg ja nicht schlecht, klang aber doch eher wie der Beginn eines Witzes. Da hatte uns das Katastrophen-Szenario von Marie mehr aufgeschreckt: