Mittwoch, 29. Oktober 2014

Tarifeinheit: Andrea, bis die Ärzte kommen

Karikatur: Berndt A. Skott
Würden Sie in eine Gewerkschaft eintreten, die eigentlich gar nicht streiken darf? Weil eine andere Gewerkschaft gerade einen Tarifvertrag am Laufen hat - und deshalb die Friedenspflicht gilt. Wer es trotzdem wagt, riskiert gerichtliche Verbote, Kündigungen, Schadensersatzklagen.

Würden Sie in eine Gewerkschaft eintreten, die stattdessen in einer Tarifrunde gerade mal das Recht hat, den Arbeitgebern exakt einmal ihre Sicht der Dinge vorzutragen? Das Gähnen der gesetzlich nur zum Zuhören gezwungenen Manager kann man sich ausmalen.

Nein, solche Gewerkschaften würden letztlich nur noch auf dem Papier stehen. Papiertiger. Und die zigfach fusionierten Groß-Gewerkschaften hätten das Sagen. Dabei kommt es ja, wie man weiß, eben nicht immer nur auf die Größe an.

Arbeitgeber-Ministerin Andrea Nahles (SPD) jedenfalls will, auf ausdrücklichen Wunsch von Wirtschaft und DGB und Kanzlerin, eine Ergänzung des Tarifvertragsgesetzes durchdrücken. Diese soll das Rad zurückdrehen, zurück zu einer Tarifeinheit pro Betrieb, die vom Bundesarbeitsgericht vor vier Jahren gekippt wurde. Und sie verkündet lauthals allen Ernstes, mit einer Einschränkung der grundgesetzlich garantierten Koalitionsfreiheit und des hohen Guts des Streikrechts habe ihr geplantes Gesetz zur Tarifeinheit nichts zu tun. Pustekuchen, siehe oben.

Es mag ja sein, dass die Arbeitgeber-Andrea vor allem die böse Gewerkschaft der Lokführer (GDL) im Sinn hat und deren nicht nur die Fahrgäste verschreckendes Gerangel um Tarifverträge für Mitglieder, die nicht Lokführer sind. Die Piloten kann sie nicht meinen. Im Cockpit gibt es keine Tarifkollision. Und davon ab: Es gab und gibt es auch Hauen und Stechen um Zuständigkeiten unter den DGB-Einheitsgewerkschaften, etwa der IG Metall und Verdi. Es mag also sein, dass die leider zuständige Ministerin nur Gutes im Sinn hat. Aber betroffen sind eben nicht nur Daseinsvorsorge-Bereiche oder Großkonzerne mit eigenen Tarifen. Betroffen sind ganz viele, quer durch die Branchen.
 

Ein Beispiel: Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat in den meisten Redaktionen die Mehrheit, überwiegend, aber nicht überall. Kann die zu Verdi gehörende dju damit tarifpolitisch einpacken? Bisher wurde stets in einer Art Tarifgemeinschaft mit den Arbeitgebern verhandelt, sprich: DJV und dju rauften ihre Forderungen vorher zusammen. Das brachte allen Vorteile. Aber muss bzw. kann so eine Zusammenarbeit von ewiger Dauer sein, zumal nach so einem herausragende Vertretungsmacht verheißenden Gesetz? Ist die Gefahr nicht groß, dass es eben nicht zu Einigungen kommt und einfach nur die Kleinen verdrängt werden - per notarieller Nachzählung der Mitglieder?

Offene Fragen ohne Ende. Die Arbeitgeber-Ministerin hat sich zum Beispiel noch nicht erklärt, was genau sie mit dem Begriff Betrieb meint. Zählen da - je nach gesellschaftlicher Konstruktion, die der Arbeitgeber einzuführen beliebte - (um bei meiner Branche zu bleiben) wahlweise Verlagsleute, Techniker, Drucker, Zeitungsboten mit? Machen die dann  womöglich mit Mehrheit und Gesetzeshilfe künftig die Tarife für Journalisten? Völlig offen ist aus meiner Sicht auch, wie sich der unterschiedliche Organisationsgrad der Gewerkschaften in einzelnen Häusern - mal hat die eine die Mehrheit, mal die andere - wohl auf einen Flächentarifvertrag auswirken würde. Der sollte ja möglichst einheitlich sein.

Das Gesetz zur Tarifeinheit, siehe Entwurf, bringt mehr Probleme als es löst. Und wirft verfassungsrechtliche Fragen auf. Einzelne Gewerkschaften wie der Marburger Bund haben bereits entsprechende Klagen angekündigt. Also: Andrea, bis die Ärzte kommen?