Peter Welchering |
Von PETER WELCHERING
Wenn Journalisten zu Romanschriftstellern werden, ist das zunächst
nicht zu beanstanden. Es liegt sogar nahe, das, was man im
journalistischen Job so erlebt hat, noch einmal schriftstellerisch zu
verarbeiten. Und da sich doch noch einige Kollegen und Kolleginnen
trotz aller widrigen Newsdesk-Umstände gewisse sprachliche
Kompetenzen bewahrt und in wenigen Fällen sogar noch entwickelt
haben, lesen sich die vor Journalistenhand geschriebenen Romane
mitunter ganz gut. Sogar finanzamtstechnisch ist die
Berufsbezeichnung „Journalist und Schriftsteller“ eingeführt.
Wenn selbst das Finanzamt hier einen direkten Bezug herstellt, dann
ist das ja wohl eine direkte Widerspiegelung lebensweltlicher
Verhältnisse. Also, dass Journalisten als Schriftsteller arbeiten
und damit Wirklichkeit auch literarisch verarbeiten, ist anerkannt.
Allerdings greifen gegenwärtig so viele Journalisten zur schriftstellerischen Feder wie noch nie. Nach Feierabend und im Urlaub verfertigen ganze Hundertschaften von Journalisten Manuskripte über Mord & Totschlag, Bestechung & Intrige oder fiese Geschäftemacher & feige Politiker. Mal werden das tatsächlich richtige Romane, immer häufiger Lokalkrimis und mitunter glaubt man sich als Leser fast eher mit einer Enthüllungsgeschichte konfrontiert als mit einem fiktionalen Stück. Wenn der investigative Journalist das schreibt, was er am besten schreiben kann, nämlich Enthüllungsgeschichten, warum schreibt er dann Romane und versetzt nicht selten, wie bei den Krimis um Stuttgart 21, reale politische Vorgänge ins Fiktive?
Die Antwort ist so einfach wie erschreckend:
Er würde die Enthüllungsgeschichte entweder nicht veröffentlicht bekommen oder er bekommt nach der Veröffentlichung so viel Ärger, dass er nie wieder in seinem Leben an etwas Investigatives mehr denken wird. Politiker, Behördenchefs und Regierungsvertreter üben in einem bisher nicht gekannten Ausmaß Kontrolle über Medien aus, mischen sich in redaktionelle Entscheidungen ein und geben publizistische Ziele vor. Natürlich passiert das nicht in allen Medien und in allen Redaktionen, aber es nimmt zu. Immer mehr Redaktionen verabschieden sich von der inneren Pressefreiheit. Immer mehr Redaktionsleiter exekutieren gnadenlos die ihnen vorgegebene – und nicht selten direkt aus der Politik durchgereichte – Tendenz.
Investigatives würde da nur stören. Wer hier nicht auf Linie schreibt oder sendet, fliegt. Natürlich gibt es auch noch lobenswerte Ausnahmen. Aber insgesamt ist die Situation erschreckend. Das ist übrigens einer der Gründe, warum sich der Lokaljournalismus in vielen Städten und Regionen dieser Republik gerade abschafft. Es wird nicht mehr investigativ gearbeitet, sondern die Botschaften der lokalen Eliten werden als semi-journalistisches Produkt aufbereitet und in einer Art lokaler Propaganda-Kampagne mit dem Wohlgefallen des Verlegers ans Volk gebracht.
Weil aber viele Journalisten sich auf der anderen Seite der Wahrheitssuche verpflichtet fühlen, Wahres schreiben und sich nicht auf das politisch Opportune beschränken wollen, greifen sie zur Feder und schreiben einen Roman. Da dürfen sie – unter dem Schutz des Fiktionalen – schreiben, was sie wollen.
Die Freude über Journalisten, die kreativ sind und Romane schreiben, wird dadurch getrübt, dass die Motivation für den Schaffensdrang im Fiktionalen der Abschied dieser Gesellschaft von der Meinungs- und Pressefreiheit ist. Denn die muss im Lokalen gehütet, gepflegt und jeden Tag gelebt werden. Wer sie nur noch ins Fiktionale verbannt, hat sich von der Wertewelt des Grundgesetzes verabschiedet. Aber das ist ja heutzutage opportun.