Von KAI RÜSBERG
Kai Rüsberg |
Eigentlich ist es also ein klassisches Investorenmodell, erweitert um eine Art gesellschaftliche Rendite: die Veröffentlichung, von der auch Nutzer profitieren, die nicht zur Vorfinanzierung beigetragen haben.
Ein Win-Win Modell? Journalisten können unabhängig recherchieren, erhalten einen angemessenen, weil selbst kalkulierten Unkostenersatz und ein auskömmliches Honorar - und auch die Gesellschaft hat etwas davon. So die Theorie. Die Öffentlichkeit wird mit aufwändig recherchiertem Journalismus versorgt, ohne jeweils einzeln dafür bezahlen zu müssen. Ist das die Zukunft des Journalismus angesichts des Niedergangs klassischer Finanzierung durch Verlage. Ich bin da skeptisch.
Damit wir uns nicht missverstehen. Crowdfunding kann eine Chance sein. Es gibt schon viele erfolgreich gestartete Crowd-Projekte. Dadurch erschließen sich wunderbare neue Möglichkeiten. Aber ich sehe folgende Einschränkungen:
1) Unpopuläre Themen finden nicht immer eine "Kraut". Es ist ein bißchen wie bei YouTube. Kurioses und Tiere gehen immer. Sperrige Themen werden es in Konkurrenz zu Mainstream aber immer schwerer haben, auch ihr Publikum zu finden, sie sind deshalb aber nicht unbedingt weniger wichtig, aufgearbeitet zu werden.
2) Investigative Themen können funktionieren, insbesondere wenn sie versprechen, gesellschaftliche Mißstände zu beleuchten. Wird aber ein Thema spezieller, auf konkrete Verfehlungen einzelner oder von Gruppen/Parteien ausgerichtet, kann schon die Vorveröffentlichung das Thema killen oder sogar Informanten in Gefahr bringen. (Annahme: G. Greenwald hätte per Crowd eine Finanzierung der ersten Snowden Papiere gesucht)
3) "Kraut" eignet sich nicht für latent tagesaktuelle Themen.Hier ist nicht nur der parallele Aufwand zu hoch, sondern häufig entwickeln sich die Themen bei der Recherche fort.
4) Bei Crowdfunding droht ein Konflikt mit "anderen"/klassischen Auftraggebern. Bisherige Projekte waren oft unterfinanziert (Definition s.o.) und benötigen daher eine Zweitfinanzierung. Diese wäre eine Zweitverwertung in den klassischen Medien. Doch zunehmend versuchen Verlage, dies generell auszuschließen. Bei Projekten, die auf Produktionshilfe angewiesen sind, wie bspw. Kamerateam/Cutter beim Rundfunk, ist eine Freigabe des Materials kaum zu erreichen.
5) Ein großer Teil der Arbeitszeit und Einnahmen geht für die Aquise und Einlösen der Prämien für die Finanziers drauf. Zudem ist es nicht jedermanns Sache, das Marketing selbst zu betreiben und stört ggfs. auch stark den Produktionsablauf und beeinträchtigt damit möglicherweise die Qualität
6) Durch Crowdfunding gibt es sogar die Gefahr, dass fiskalisierbare Interessen (dort wo Geld ist) genehme Themen priorisieren oder beeinflussen. Dies kann durch finanzielle Beteiligung an einzelnen Projekten oder schon das Schaffen von einfachem Zugang zu Rechercheorten geschehen. Zugegeben: Dazu ist mir kein Fall bekannt. Aber es ist realistisch. Eine PR-Abteilung wäre schlecht beraten, diese Möglichkeiten nicht zu nutzen.
7) Das vorzeitige Scheitern einer Recherche ist nicht geregelt. Redaktionen zahlen in einem solchen Fall ein Ausfallhonorar, dass sich zumeist am bisherigen geleisteten Aufwand bemisst. Beim Crowdfunding wird aber die Unterstützung für den Fall des Erfolges berechnet. Eine Teilrückzahlung kommt kaum in Frage. Auch können die ausgelobten Prämien oft nicht bedient werden. Was könnte ein unerwünschter Effekt sein? Das Thema wird trotz mangelnder Erfolgsaussichten möglichst lang weiter verfolgt, obwohl journalistisch vielleicht ein Abbruch oder eine komplette Neuorientierung angeraten wäre?
8) Grundsätzlich finde ich, es ist richtig, wenn Finanzierung und Autorenschaft voneinander getrennt bleibt. Eine Redaktion als Gegenüber ist auch im laufenden Produktionsprozeß oft ein wichtiger Gesprächspartner, der beim Crowdfunding fehlt.
Fazit: Crowdfunding kann ein zusätzliches Element sein, sollte aber nicht als der Heilsbringer überbewertet werden.
Aus meiner Sicht haben Stiftungsmodelle (ohne Grundstock) mehr Perspektive, auch wenn sie schwieriger zu organisieren sind und ebenso die Gefahr einer Beeinflussung von fiskalischen, weltanschaulichen oder politischen Interessen beinhalten. Dabei muß auf ein striktes Zwei-Säulen-Modell geachtet werden, wo die Finanzierung keinen Druchgriff auf die Themensetzung, Umsetzung und Gestaltung nehmen darf. Dazu könnte eine möglichst breite Basis der Finanzierung beitragen. Damit meine ich am Ende auch die Nutzer, denen eine Beteiligung durch ein freiwilliges Abo-Modell möglichst leicht gemacht werden könnte.
Im Regionalen, aus dem sich die Zeitungsverlage zunehmend zurückziehen und an das Publikum zunehmend Interesse zeigt, sehe ich die beste Chance, ein solches Modell zu testen. Ein solches Stiftungsmodell kann auch eine Basis für eine andere "Kraut" Idee sein: Das Crowdsourcing. Das Nutzen der Intelligenz der Masse - des Publikums - zur Recherche von Themen. Aber das ist ein anderes Thema.