Donnerstag, 15. Oktober 2015

Dorftrottel - der Ruf der Lokaljournalisten

Ralf Heimann
Einer seiner Tweets löste
übrigens 2010 den
Blumenkübel-Hype aus
Man muss sich wohl (auch für ihn) freuen, dass er vor anderthalb Jahren die Münstersche Zeitung verließ. Die ist inzwischen - nach dem Wechsel vom Dauer-Tarifflüchter Lensing an den Neu-Tarifflüchter Aschendorff - sowas wie ein lokales Zombie-Blatt. Ralf Heimann jedenfalls hat sich seit seinem Abgang als freier Journalist und Buchautor  (u.a. Perlen des Journalismus) einen Namen gemacht. In seinem Blog Operation Harakiri hat er mal wieder über Lokaljournalisten und den Lokaljournalismus geschrieben: Das Primat des Weglassens. Viele Kolleginnen und Kollegen in den Lokalredaktionen werden sich verstanden fühlen. Deshalb freue ich mich, den Text auch hier verwenden zu dürfen, proudly presented:

Von RALF HEIMANN

Joachim Widmann hat keine große Lust auf lahmen Lokaljournalismus. Geht mir auch so. Das klang hier sicher schon mal durch. Ich habe hier ja auch schon öfter erklärt, was mich so stört. Joachim Widmann hat das jetzt in Form der zehn Gebote des Lokaljournalismus getan. So steht es über seinem Text auf kress.de. Und das wäre eigentlich ein guter Grund gewesen, den Text nicht zu lesen. Aber weil ich so neugierig bin, habe ich dann doch die ersten Absätze überflogen, und da steht, dass die Form nicht ganz ernst gemeint ist. Das hat mich etwas beruhigt.
 
Jedenfalls Folgendes: Im Prinzip bin ich Widmanns Meinung. Jetzt wiederhole ich mich schon im zweiten Absatz. Aber genau das ist der Punkt. Sobald man das Wort “Lokaljournalismus” zusammen mit den Wörtern “Thesen” oder “Zukunft” liest, ahnt man: Jetzt kommt gleich wieder die Sache mit der kritischen Haltung, den Anzeigenkunden und der Unabhängigkeit.
 
Als Lokaljournalist sitzt man dann entweder da und fühlt sich nicht angesprochen, weil man denkt: Gut, im Prinzip ist das so. Aber bei uns hier in der Stadt läuft das alles ein bisschen anders.
 
Oder aber man würde gern etwas ändern und fragt sich, wie man das auf die Schnelle machen soll. Wenn man den Leuten im Schützenverein erzählt, wir machen jetzt ab morgen alles anders, kritisch und so, werden die das zur Kenntnis nehmen. Aber sobald man die Tür hinter sich zugeschlagen hat, lachen die sich tot.
 
Die ganze Kultur ist versaut. Das kann ein Einzelner nur sehr schwer ändern.
Zu Gebot eins und zwei: Verlautbarungen.
 
Ich vermute mal, dass es in den meisten Lokalredaktionen eher nicht so ist, dass man sich morgens fragt: Pressekonferenz. Gut, den ganz normalen Scheiß wie immer? Oder machen wir ein Porträt mit Reportage-Elementen?
 
Allein an dieser einen Veranstaltungsform Pressekonferenz hängt ein ganzer Anhänger voll mit Problemen.
 
Die Frage „Gehen wir da überhaupt hin?“ wird oft gar nicht gestellt, weil schon das Wort Pressekonferenz einen so offiziellen Charakter verbreitet, dass kein Redakteur sich traut, einfach mal zu sagen: Das sparen wir uns. Je kleiner das Dorf, desto größer das Problem.
 
Das verstehen natürlich auch Parteien und Vereine, und sobald sich dieses Wissen verbreitet hat, führt das dazu, dass freitagsmorgens oft zeitgleich fünf Pressekonferenzen stattfinden, weil alles am Samstag in die Zeitung soll, die Redaktion zu Pressekonferenzen garantiert jemanden schickt – und wenn sie jemanden geschickt hat, immer auch schreibt.
 
Nun aber zu dem Problem, das Widmann kritisiert. Üblich ist, dass nach der Pressekonferenz einfach all das aufgeschrieben wird, was die Offiziellen zu berichten hatten. Und wenn man nachher Artikel und Pressemitteilung nebeneinanderlegt, entsteht manchmal der Eindruck, dass der Journalist seine Aufgabe vor allem darin gesehen hat, den Text der Pressestelle möglichst kunstvoll zu paraphrasieren.
 
Ich habe das auch schon gemacht. Und während ich das tat, war mir bewusst, dass das nicht gut ist. Aber die Alternative in diesem Moment war nicht: Pressemitteilung wegwerfen und selbst eine fundierte Analyse schreiben. Dazu bräuchte man ja erst mal so etwas wie Ahnung. Und um sich die anzueignen, braucht man ein bisschen mehr Zeit als die viereinhalb Minuten, die für den Wikipedia-Artikel draufgehen.
 
Diese Zeit ist aber gar nicht eingeplant. Und hier käme jetzt meine Gegenthese: Das Meiste, was Joachim Widmann fordert, lässt sich so gar nicht umsetzen, wenn nicht mal irgendwer anfängt, in Lokalredaktionen das Gerücht zu kolportieren, dass auch Recherchezeit Arbeitszeit ist.
 
Tatsächlich ist es eher so,
dass die Arbeitszeit in Zeilen gemessen wird. „Wie? Nur 50 Zeilen geschrieben heute? Was hast du denn den ganzen Tag gemacht?“
 
Das Lob in der Konferenz fällt nicht auf den, der mit etwas Recherche, viel Mühe und drei längeren Gesprächen eine wichtige Nachricht ausgegraben hat. Die Bewunderung trifft den, der es auf magische Weise geschafft hat, tausend Zeilen Text in einer Ausgabe unterzubringen.
 
Die Zeitung muss voll werden. Jetzt wiederhole ich mich schon wieder. Aber das ist das Hauptproblem. Nicht die fehlende Distanz, der zu kurze Atem oder die mangelnde Offenheit.
 
Deshalb glaube ich, dass die richtigen Adressaten für zehn Gebote gar nicht die Journalisten sind, die dann am Ende in den Pressekonferenzen sitzen.
 
Und dann die Sache mit dem Image. Meine Erfahrung ist: Erzähle jemandem, dass du Lokaljournalist bist, und er wird dich für einen Idioten halten. Neulich hat mich ein Kollege, der für eine überregionale Tageszeitung arbeitet, in einer Runde als Lokaljournalist vorgestellt. Später hat er sich dann dafür entschuldigt.
 
Ich selbst finde nichts Schlimmes daran, Nachrichten und Geschichten aus der näheren Umgebung aufzuschreiben. Aber das verbreitete Bild sieht ja eher so aus, dass das die Leute sind, die bestellt werden können, wenn man ein Gruppenfoto braucht. Und meistens werden sie eben in den Kleingarten und zu den Taubenzüchtern bestellt.
 
Vielleicht muss die Frage erst mal lauten: Wie wird man dieses Image los?
 
Meine Vermutung ist, dass ungefähr hier eine nicht ganz unwichtige Ursache dafür liegt, dass junge Menschen mit Lokaljournalismus nicht viel anfangen können. Er ist gnadenlos unsexy.
 
Ein erster Lösungsvorschlag wäre: Man müsste sich mal damit beschäftigen.
 
Mein Kollege Jörg Homering-Elsner und ich sammeln ja, wie einige vielleicht wissen, Perlen des Lokaljournalismus. Jeden Tag schicken Kollegen und Zeitungsleser Dutzende neuer Ausschnitte mit den unglaublichsten Fehlern. Korrekturen sehen wir nur selten, was natürlich auch daran liegen kann, dass sie nicht geschickt werden. Ich glaube allerdings, es gibt meistens einfach keine, weil das natürlich die Lösung des Problems ist, die in der Vergangenheit auch immer funktioniert hat. Man erwähnt es einfach nicht. Dann wird es schon bald wieder vergessen sein.
 
Aber das Image ist jetzt da, es ist recht dominant geworden, und es wird vermutlich bleiben. Mittlerweile wäre es wichtig, sich von diesem Trotteljournalismus zu distanzieren. Dann und wann spricht es mal jemand an, aber es kommt mir doch vor wie in dieser Sparkassen-Werbung, wo am Ende der Chef sagt: „Wir machen das mit den Fähnchen.“
 
Dabei gäbe es ja gute Beispiele, wie man mit einem so verkorksten Image umgehen kann.
Die Bausparkasse LBS zum Beispiel hat das Problem, dass man sie und ihre Kunden für ziemlich langweilig hält, gelöst, indem sie sich in ihrer Werbung ironisch, aber auch recht selbstbewusst dazu bekannt haben, eben die Bausparkasse der Spießer zu sein.
 
Lokalzeitungen dagegen kämpfen weiter gegen den Dorftrottel-Ruf, indem sie ihre eigene Bedeutung ins Unermessliche überhöhen. Auftrag im Grundgesetz. Vierte Macht im Staat. Und dann kommt so was dabei raus.
 
Ein Redakteur alleine kann das aber auch nicht lösen. Er braucht ja erst mal eine Vorstellung davon, was der Verlag überhaupt will. Das klingt jetzt vielleicht seltsam, aber oft ist das ja gar nicht so klar. Viele Redakteure, die seit Jahren auf einem Schiff mit der Flagge „Journalismus“ segeln, haben ja mit der Zeit schon ein Gefühl, dafür bekommen, dass es in Wirklichkeit um Convenience-Content für Anzeigenkunden geht.
 
Ich kann ganz gut verstehen, dass Journalisten resignieren und an gewissen Stellen auf Kritik verzichten, wenn sie an der einen Front gegen die Spendenfoto-Wünsche und Geheimhaltungsdiktate der Anzeigenkunden kämpfen und an der anderen Front gegen den eigenen Laden.
 
Da kann man dem Redakteur dann raten: Sei kritisch! Sei offen! Sei flexibel! Aber ohne die Rückendeckung des Arbeitgebers wird er doch nur der Trottel bleiben, der gegen Ende der Woche anruft, um noch mal nachzuhaken. Wenn es tatsächlich mal heikel wird, trifft man sich mit dem Verlagsgeschäftsführer, und der regelt dann schon, dass nichts in der Zeitung steht.
 
Dabei geht jetzt vielleicht ein bisschen der Eindruck verloren, dass ich Joachim Widmann eigentlich schon zustimme. Man braucht das ja alles. Kritische Journalisten. Distanzierte Journalisten. Gut informierte Journalisten. Aber so etwas kann nur in einer Umgebung gedeihen, die das zulässt und fordert.
 
Anders als Widmann glaube ich nicht, dass Lokaljournalisten das Zeitproblem selbst lösen können, indem sie ihre Woche schon mal vorplanen. Natürlich sind sie auch selbst schuld. Wenn man in Lokalredaktionen von anderen Journalisten hört, die eine Woche an einer Geschichte recherchieren, ist die Reaktion entweder ein verzweifeltes: „Das würde ich auch gern.“ Oder ein: „Pah! In der Zeit schreib ich fünf Geschichten.“
 
Deshalb würde sich in vielen Redaktionen wahrscheinlich auch nicht viel ändern, wenn es plötzlich zwei Redakteure mehr gäbe. Es ist ein Kulturproblem. Es fehlt das Verständnis für gründliche Recherchen, weil es dann natürlich an Output mangelt. Drei schnelle Geschichten sind immer besser als eine gute. Es regiert das Primat der Quantität.
 
Also was tun, wenn die Leute sich nicht mehr für die Lokalberichterstattung interessieren? Vollkommen klar: Wir verkaufen zwei Seiten mehr. Es gibt Städte mit 30.000 Einwohnern, in denen jeden Tag acht Lokalseiten erscheinen. Um die zu füllen, braucht man entweder zehn Reporter, eine irre Fantasie oder ein Postfach voller Pressemitteilungen.
 
Es ist ja vielleicht ganz schön, wenn man beim Frühstück noch drei Seiten mehr ungelesen wegblättern kann, aber am Ende führt es nicht dazu, dass die Leute im Bus über die wichtigsten Themen aus der Zeitung diskutieren, sondern dazu, dass man von irgendwoher den Satz hört: „Steht wieder nix drin im Käseblatt.“
 
Aber selbst, wenn es in dieser Stadt tatsächlich irgendwann nicht mehr acht, sondern nur noch drei Lokalzeitungsseiten gäbe, sich ein verrückter Verleger fände, der bereit wäre, bei dem Umfang mehr als einen Redakteur zu beschäftigen, so dass man Geschichten auch mal zu Ende recherchieren und im Zweifel nicht drucken könnte, wäre ein anderes Problem noch immer nicht gelöst: Es klingt natürlich sehr gut, über Pressekonferenzen mal ganz anders zu schreiben, ein Gruppenporträt mit Reportage-Elementen mitzubringen und die Perspektive zu wechseln, aber Lokaljournalismus bedeutet eben auch: Nach einem Jahr wiederholt sich alles. Und spätestens bei der fünften Pressekonferenz des örtlichen Energieversorgers wird man feststellen: Es gibt nicht unendlich viele Möglichkeiten, alles anders zu machen.
 
Nach meiner Erfahrung steht dann irgendwann wieder einfach die Nachricht in der Zeitung, weil es am Ende ja vor allem darum geht. Und hier habe ich eine Schleife eingebaut. Jetzt könnte man im Text wieder nach oben springen.
 
Stichwort Quantität.
 
Oft sind die Dinge eben nicht so offensichtlich wie der Zusammenhang zwischen der schlechten Ausstattung des Jugendheims und den trinkenden Jugendlichen vor der Tankstelle. Meistens ist es eher so, dass man viel telefonieren und lesen muss, bevor einem überhaupt erst mal irgendetwas auffällt. Und wenn im Terminkalender morgens eine Pressekonferenz steht und nachmittags eine, wird man die Hintergründe auch mit der besten Auffassungsgabe nicht sehen.
 
Man bräuchte so etwas wie ein Primat des Weglassens, damit mehr Platz für das Wesentliche bleibt. Aber das Dilemma ist: Je mehr man weglässt, desto wahrscheinlicher wird das Szenario, in dem irgendwann der Verleger mit der Neuigkeit in der Redaktion steht, dass man in Zukunft nicht mehr ganz so viele Schreibtische braucht.
 
Also geht alles erst mal so weiter. Und eigentlich fallen mir auch nur zwei Lösungen ein: Entweder, man verpflichtet die Verleger gesetzlich dazu, die eigene Lokalzeitung jeden Tag von vorne bis hinten zu lesen. Oder wir versuchen es weiter mit Thesen.