Mittwoch, 11. Februar 2015

Die Lizenz zum Lügen

„Betriebsratsverseucht“, sagte Paul. „Das war doch auch mal Unwort des Jahres. Stammt aus dem Manager-Jargon.“ Daniel nickte: „Ja, danach war's alternativlos, aus dem Politiker-Jargon.“ Und jetzt Lügenpresse. Jargon aus menschenverachtenden Zeiten.
 
Da war sich der Stammtisch einig: Bei aller berechtigten Medienkritik – dieser pauschale Vorwurf aus der strammrechten Ecke ist eklig. Wenn das alles wäre. Journalisten werden erschossen, gefoltert, bedroht, gejagt, eingesperrt. Die Arbeitgeber lassen uns im Stich. Und nun Frontalangriffe auf die Ehre.
 
„Das soll noch Spaß machen?“ schnaubte Christine. „Wir bemühen uns doch im Lokalen alle, gut zu recherchieren. Wir gehen raus zu den Leuten vor Ort, hören ihnen zu, fragen nach – und geben dann alles korrekt wieder. Wir arbeiten transparenter und näher am Leser denn je.“
 
Jens klagte: „Und trotzdem wird man auch noch verspottet. Neulich wurde ich im Stamm-Imbiss grinsend gefragt: Na, was willste? Einen Lügenburger?“ Manni legte nach: „Früher bekam man bei Theo am Kiosk, wenn man ein Lügenblatt bestellte, die BILD. Und wir haben beide gezwinkert. Heute weiß Theo gar nicht, was er einem da geben soll. Der drückt Dir glatt die Süddeutsche in die Hand.“
 
Inge fiel diese Demonstrantin ein, aus Dresden. „Die sagte kürzlich, wohl in Andenken an frühere Zeiten, Journalisten müssten ja gleichgeschaltet schreiben, damit sie ihre Lizenz nicht verlieren.“ Lizenz? Sowas gibt’s nicht. Davon ab: Als wenn man zum Lügen eine Lizenz bräuchte. Und: Journalisten auf eine Linie bringen - das schaffen ja noch nicht einmal die Gewerkschaften. Wir kugelten vor Lachen.
 
Wir diskutierten noch stundenlang. Ob „Medienverdrossenheit“ heute nicht eher die Gefühle der Medien beschreibt. Ob wir unseren Stammtisch umbenennen in: Münchhausens Urenkel, mit Pinocchio als Maskottchen. Ob wir samstags Satire-Demos machen sollten: LOL – Lügen ohne Lizenz. Ob der Job überhaupt noch Zukunft hat. Das ging bis in die Puppen. Selbst der Wirt verzog sich in sein Bett, mit den Worten: Der letzte macht das Licht aus. Wir nickten stumm. Genau.